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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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rationales
Denken blieb weit hinter meinem instinktiven, unbewußten Empfinden zurück.
Spätzündung. Jetzt hatte das eine das andere eingeholt. Der Gedankenfunke, der
sich bei dem Zusammentreffen bildete, war: Er hat ihr etwas angetan!
    Ich schaute hinab auf meine Knie und
sah, daß sich meine Hand völlig verkrampft, daß sie den Stoff der Hose über der
Kniescheibe zusammengerafft hatte. Es kostete mich reichliche Anstrengung, sie
wieder zu öffnen. Ich sagte beruhigend zu mir selbst: »Nun mach mal halblang,
sei vorsichtig, keine übertriebene Eile! Du hast nichts gesehen. Du weißt
nichts. Der einzige ›Beweis‹, den du hast, ist die Tatsache, daß du sie nicht
mehr siehst .«
    Sam stand an der Speisekammertür und
schaute zu mir herüber. Vorwurfsvoll meinte er: »Sie haben überhaupt nichts
angerührt. Und Ihr Gesicht ist so bleich wie ein Bettlaken .«
    So fühlte es sich auch an. Dieses
Gefühl wie viele feine Nadelstiche, wenn das Blut plötzlich aus einem
Körperteil gewichen ist. Mehr, um ihn eine Zeitlang loszuwerden und mir etwas
Ellbogenfreiheit zu verschaffen, als aus irgendeinem anderen Grund, fragte ich
ihn: »Sam, wie ist die genaue Adresse von dem Haus da drüben? Du mußt den Kopf
nicht gleich so weit rausstrecken und rübergaffen !«
    »Benedict Avenue — was weiß ich .« Er kratzte sich im Nacken, äußerst hilfreich.
    »Die Straße weiß ich selbst. Lauf mal
schnell um die Ecke und schau nach, welche Hausnummer es ist, ja ?«
    »Wozu woll’n Sie’n das wissen ?« fragte er beim Hinausgehen.
    »Das braucht dich nicht zu
interessieren«, antwortete ich gutmütig, aber entschieden, und damit war die
Angelegenheit ein für alle Mal erledigt. Als er gerade die Tür schließen
wollte, rief ich ihm nach: »Und wenn du schon mal dort bist, geh rein und
schau, ob du auf den Briefkästen den Namen von den Leuten findest, die im
dritten Stock nach hinten raus wohnen. Aber komm mir nicht mit dem falschen!
Und laß dich nicht dabei erwischen !«
    Beim Hinausgehen brummte er etwas wie:
»Wenn einer den ganzen Tag nichts zu tun hat außer herumsitzen, kommt er auf
die verrücktesten Ideen...« Die Tür fiel ins Schloß, und ich begann, mir ein
paar sinnvolle, konstruktive Gedanken zu machen.
    Ich sagte mir: Worauf stützt du
eigentlich diese ganzen ungeheuerlichen Mutmaßungen? Was hast du in der Hand?
Doch nicht mehr als ein paar kleine Unstimmigkeiten, ein paar Schwachstellen in
der Kette ihrer alltäglichen Gewohnheiten, 1. In der ersten Nacht ging das
Licht nicht aus. 2. In der zweiten Nacht kam er später als sonst nach Hause. 3.
Er nahm den Hut nicht ab. 4. Sie kam nicht heraus, um ihn zu begrüßen — sie war
seit dem Abend, bevor das Licht die ganze Nacht über anblieb, nicht mehr zu
sehen. 5. Er hat einen Schluck Alkohol gebraucht, nachdem er ihren Koffer
gepackt hatte. Am nächsten Morgen, gleich als ihr Koffer weg war, hat er sich
drei Gläser von dem Zeug genehmigt. 6. Er war innerlich beunruhigt, machte sich
Sorgen, doch seine innere Unruhe war überlagert von einer unnatürlichen, nach
außen gerichteten Besorgnis, die sich auf die Fenster rings um den Innenhof
bezog. Das paßte nicht richtig zusammen. 7. In der Nacht, bevor der Koffer
abgeholt wurde, schlief er im Wohnzimmer, vermied es, sich dem Schlafzimmer zu
nähern.
    Sehr gut. Wenn sie in der ersten Nacht
krank gewesen war und er sie zur Behandlung irgendwohin geschickt hatte, waren
damit die Punkte 1,2,3 und 4 erledigt. Und 5 und 6 waren völlig
unwichtig, stellten absolut nichts Belastendes mehr dar. Aber dann, bei Punkt
7, wurde es problematisch.
    Wenn sie sofort, nachdem sie krank
geworden war, am Tag nach dieser ersten Nacht, weggefahren war, warum hatte er
dann letzte Nacht nicht in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer geschlafen?
Gefühlsduselei? Kaum. Zwei erstklassige Betten in dem einen Zimmer, im anderen
nur ein Sofa und ein unbequemer Sessel. Warum hätte er das Schlafzimmer nicht
betreten sollen, wenn sie bereits weg war? Nur, weil er sie vermißte, weil er
sich einsam fühlte? So benimmt sich kein erwachsener Mensch. Gut, dann war sie
noch dort drinnen.
    In diesem Augenblick kam Sam zurück und
sagte: »Es ist die Hausnummer 525 in der Benedict Avenue. Auf dem Briefkasten
für die Wohnung im dritten Stock nach hinten steht Mr. und Mrs. Thorwald .«
    Mit einem »Psst !« brachte ich ihn zum Verstummen und mit einer Handbewegung zum Verschwinden.
    »Erst will er’s wissen, dann wieder
nicht«, grummelte er achselzuckend und
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