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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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bereits fertiggestellt, aber noch nicht vermietet. In der im vierten
Stock wurde gerade gearbeitet, das Hämmern und Sägen raubte uns allen hier im
Block die Ruhe.
    Es tat mir leid für das Ehepaar in der
Wohnung darunter. Ich fragte mich immer wieder, wie sie den Krawall über ihren
Köpfen nur aushalten konnten. Verschlimmert wurde das Ganze noch dadurch, daß
die Frau offensichtlich ein chronisches Leiden hatte, ich konnte das, selbst
auf diese Entfernung, an der teilnahmslosen Art, wie sie da drüben herumlief, erkennen,
den ganzen Tag im Bademantel, ohne sich richtig anzuziehen. Manchmal sah ich,
wie sie am Fenster saß und sich den Kopf hielt. Ich fragte mich, warum er
keinen Arzt für sie holte, aber vielleicht konnten sie sich das nicht leisten.
Er schien keine Arbeit zu haben. Off brannte nachts hinter herabgezogenen
Rollos Licht in ihrem Schlafzimmer, als ob es ihr nicht gut ginge und er an
ihrer Seite wachte. Besonders in einer Nacht, da mußte er fast bis zum Morgen
neben ihr gesessen haben, denn als das Licht ausging, begann es schon zu
dämmern. Nicht, daß ich die ganze Zeit dagesessen und hinübergeschaut hätte.
Aber um drei Uhr, als ich endlich den Rollstuhl am Fenster mit dem Bett
vertauschte, um vielleicht auch etwas Schlaf zu finden, brannte das Licht noch.
Und als es mir nicht gelang einzuschlafen, und ich im ersten Morgengrauen
wieder ans Fenster hopste, sah ich es noch immer matt zwischen dem hellbraunen
Springrollo und dem Fensterrahmen hervorscheinen.
    Ein paar Augenblicke später, als das
erste Tageslicht in den Hof drang, erlosch es plötzlich, und kurz darauf ging
ein Rollo hoch, nicht dieses, sondern eines in einem anderen Zimmer — sie waren
alle ohne Ausnahme herabgezogen gewesen — , und ich sah ihn am Fenster stehen
und herausschauen.
    Er hielt eine Zigarette in der Hand.
Ich sah sie nicht, konnte es jedoch an den hektischen, ruckartigen Bewegungen
erkennen, mit denen er immer wieder die Hand zum Mund führte, und daran, daß
sich um seinen Kopf eine kleine Rauchwolke bildete. Machte sich wohl Sorgen um
sie. Das konnte ich gut verstehen. Jeder Mann hätte sich in dieser Situation
Sorgen gemacht. Sie mußte eben erst eingenickt sein, nachdem sie die ganze
Nacht über gelitten hatte. Und dann, in nicht mehr als einer Stunde, würde über ihnen wieder das Gesäge und das Geklapper der
Eimer losgehen. Das geht dich überhaupt nichts an, sagte ich mir, und dennoch,
er hätte sie anderswohin bringen sollen. Wenn ich eine kranke Frau hätte, um
die ich mich kümmern müßte...
    Er beugte sich ein wenig vor, etwa
zwei, drei Zentimeter über den Fensterrahmen hinaus, und ließ den Blick
sorgfältig prüfend die Rückseiten all der Häuser entlanggleiten, die rund um
das viereckige Loch vor ihm lagen. Man sieht es auch auf größere Entfernung,
wenn jemand angestrengt starrt. Daran, wie er den Kopf hält. Und doch, sein
prüfender Blick war nicht fest auf einen bestimmten Punkt gerichtet, sondern
wanderte langsam die Häuserreihe mir gegenüber entlang. Als er beim letzten
anlangte, wußte ich, er würde jetzt auf meine Seite herüberwechseln und langsam
wieder bis an sein Ende des Hofes zurückkehren. Ehe es soweit war, zog ich mich
ein paar Meter ins Zimmer zurück, ließ seinen Blick gefahrlos vorüberstreichen.
Ich wollte nicht den Anschein in ihm erwecken, daß ich dasaß und in seinem
Leben herumspionierte. Mein Schlafzimmer war noch immer so sehr von den
bläulichen Schatten der Nacht erfüllt, daß mein kleiner Rückzug seinen Blick
nicht auf mich lenkte.
    Als ich gleich darauf wieder ans
Fenster trat, war er weg. Er hatte zwei weitere Rollos hochgezogen. Das am
Schlafzimmer war immer noch unten. Mir schoß die Frage durch den Kopf, warum er
wohl all die Fenster rund um den Hof auf so eigenartige Weise, so ausgiebig
gemustert hatte. An keinem von ihnen stand um diese Zeit irgend jemand. Es war
natürlich nicht weiter von Bedeutung. Nur ein bißchen merkwürdig, es paßte
nicht recht zu seiner Besorgnis wegen seiner Frau. Wenn einer sich Sorgen
macht, dann beschäftigt ihn etwas innerlich, dann starrt er mit leerem Blick
vor sich hin. Wenn jemand den Blick in einem großen Bogen über die Fenster der
umliegenden Häuser hinweggleiten läßt, dann ist das ein Zeichen für Besorgnis,
die ihren Grund in der Umwelt findet, ein Zeichen für nach außen gerichtetes
Interesse. Zu innerlicher Besorgnis paßt diese Art von Blick nicht richtig.
Gerade die scheinbare Unwichtigkeit eines solchen
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