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Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht

Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht

Titel: Banyon, Constance - HG 032 - Bittersüße Jahre der Sehnsucht
Autoren: Constance Banyon
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Prolog
     
    Savannah, Georgia, im November 1774
     
    Royal Bradford saß an dem breiten Eichenschreibtisch ihres Vaters und blickte hinaus auf den Wright Square. Langsam hatte sich der Himmel verdüstert. Ein jäher Windstoß fuhr durch die Zweige des Maulbeerbaums und ließ sie sich wiegen und beugen. Es hatte zu regnen angefangen, und die Tropfen prasselten heftig gegen die Fensterscheibe.
    Royal lehnte sich zurück und griff nach dem in schwarzes Leder gebundenen Tagebuch. Vor drei Monaten hatte der Vater es ihr aus Anlaß ihres vierzehnten Geburtstages zum Geschenk gemacht. Halb blind vor Tränen schlug sie die erste Seite auf, nahm die Feder zur Hand und begann zu schreiben.
     
    Liebster Papa,
    Du schenktest mir dieses Tagebuch und mahntest, ich solle von nun an fortwährend den täglichen Ablauf meines Lebens darin festhalten. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, worüber ich überhaupt schreiben würde. Wie traurig ist es nun, daß ich meine erste Eintragung an dem Tag mache, an dem wir Dich beerdigt haben. Mein liebevoller und gütiger Ratgeber, mein geliebter Vater, es fällt mir so schwer zu begreifen, daß Du nicht länger bei mir bist Ich habe Angst, daß, wenn ich die Erinnerung an Dich nicht lebendig erhalte, es so sein wird, als hättest Du nie gelebt. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, jeden Vermerk in diesem Büchlein an Dich zu richten. Du warst nicht nur mein Vater, sondern auch mein bester Freund. Und ich werde mich bemühen, mich zu der Frau zu entwickeln, wie Du sie Dir vorgestellt haben mochtest.
     
    Das kindliche Gekritzel füllte die Seite, Tränen fielen darauf und verwischten das Geschriebene. Royal schaute auf zu dem Gemälde über dem Kamin. Der unruhige Flammenschein des Feuers flackerte über das schöne Gesicht Arabella Bradfords, der Schwester des Vaters, und Royal empfand einen tiefen Schmerz im Innersten.
    „Wo bist du, Tante Arabella?“ flüsterte sie traurig. „Warum bist du nicht gekommen? Hast du meinen Brief denn nicht erhalten? Weißt du nicht, wie sehr Vater dich gebraucht hätte, wie sehr ich dich brauche?“
    Sie legte den Kopf in die Arme auf den Tisch und ließ den Tränen freien Lauf. Krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren Körper, und sie verlor sich völlig in ihrem Gram.
    So saß sie lange. Später hätte sie nicht sagen können, wieviel Zeit hier am Schreibtisch ihres Vaters vergangen war, unbeachtet, doch die Tränen waren versiegt, die Kerzen heruntergebrannt. Nur eine einzelne flackerte noch vor dem Verlöschen. In den Winkeln der Bibliothek machten sich die Schatten breit.
    Royal sah sich um. In diesem Raum hatte der Vater sich meistens aufgehalten, hier hatte er seine Geschäfte geführt. Der vertraute Geruch nach Leder mischte sich mit dem dumpfen der abgegriffenen Bücher, die sich auf den Mahagoniregalen aneinanderreihten. Wenn Royal die Augen schloß, konnte sie die Gegenwart des Vaters beinahe körperlich wahrnehmen. Erst das Bersten eines Holzscheites im Kamin holte sie in die Wirklichkeit zurück.
    Schon seit geraumer Zeit hielten sich hartnäckig Gerüchte, daß es zum Krieg zwischen den Kolonien und England kommen könne. Nun, da Royal ganz allein stand, fühlte sie sich davon beängstigt und bedroht.
    „Beeile dich, Tante Arabella, ich bitte dich“, schluchzte sie. „Du hast Papa doch auch liebgehabt, und wir brauchen einander, um uns zu trösten.“
    Mit einer Empfindung des Unabänderlichen, Endgültigen, legte Royal das Tagebuch beiseite. Erst eine Woche später sollte sie eine weitere Eintragung folgen lassen.
    Liebster Papa,
    schon sind acht Tage vergangen, seitdem ich in dieses Büchlein geschrieben habe, und immer noch habe ich nichts von Tante Arabella gehört. Ich weiß, daß sie kommen wird, aber wann endlich wird das wohl sein? Ich fühle mich so verlassen, Papa, und Du fehlst mir schrecklich. Dein Anwalt hat mich wissen lassen, daß am nächsten Freitag die Testamentseröffnung stattfinden soll. Vielleicht werde ich dann auch erfahren, wie meine Zukunft aussehen wird.

1. KAPITEL
     
    Lautlos ging John Bartholomew auf dem dichten Orientteppich hin und her und blickte auf den glänzend blanken Boden. Als Mensch, der alles sehr genau nahm, zog er häufig die Taschenuhr hervor und verglich sie mit der Wanduhr der Eingangshalle, um sicherzugehen, daß auch keine der beiden nachging. Immer aber zeigten sie die gleiche Zeit.
    Schließlich blieb er vor der hohen Mahagonitür stehen, die in die Bibliothek führte, und
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