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Traeume von Fluessen und Meeren

Traeume von Fluessen und Meeren

Titel: Traeume von Fluessen und Meeren
Autoren: Tim Parks
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wütend, Selbstgespräche führend. Er nahm den Besen und fing an zu fegen. Die Bücher und die Videos waren schon gepackt und abtransportiert worden. Paul hatte ein Transportunternehmen bestellt. Die Männer hatten drei große Kisten gefüllt und ein Chaos aus Staub und Spinnweben in den Ecken hinterlassen. John fegte tote Fliegen und allen möglichen Unrat weg. Er schwang den Besen sogar über dem Fenster und fegte die Gardinenstange. »Wozu das denn?«, protestierte Elaine. Wer auch immer hier als Nächster einzog, würde sowieso gründlich sauber machen. Er hob den Kopf und schaute sie kurz an, sagte aber nichts. Er rückte den Kühlschrank vor und fegte den Dreck dahinter weg. »John«, sagte sie flehend. »Bitte. Warum bin ich hier, wenn nicht deinetwegen? Warum können wir nicht miteinander reden?«
    Auf dem Heimweg vom Krematorium war Paul mit dem jungen Paar im Taxi mitgefahren. Er fand das Benehmen des jungen Mannes peinlich. Er hatte ihre Flüge nach Heathrow bezahlt und wartete immer noch auf ein Dankeschön. Er hatte auch die Bestattung bezahlt. Sie war nicht billig gewesen. Er hätte gerne vernünftig mit John über seinen Vater gesprochen, über seine Mutter, über das, was geschehen war, dass die beiden der Nachwelt auf jeden Fall in Erinnerung bleiben würden, über den Transport der Papiere nach London – wo sollten sie gelagert werden? –, über ein mögliches Buch – wer konnte sagen, was die Zukunft bringen würde, wenn er aus Bihar zurückgekehrt war? Aber derJunge war feindselig, sogar unhöflich zu ihm gewesen. Ich habe nichts getan, womit ich das verdient hätte, da war Paul sich sicher. Die entzückende Elaine tat ihm leid.
    Der Nachmittag schleppte sich dahin. John lief hin und her. Er knallte den Besen gegen die Fußleisten. Ich sollte ein bisschen rausgehen, überlegte Elaine, aber sie hatte irgendwie Angst, sich allein in die Stadt hinauszuwagen. Vielleicht könnte sie Paul anrufen, dachte sie. Er würde sie bestimmt an ihrem letzten Abend in die Altstadt ausführen. Dann würde sie wenigstens noch etwas zu sehen bekommen. Sie hatte von Indien so gut wie gar nichts mitgekriegt. Er war ein interessanter Mann, er hatte viele Geschichten auf Lager. Johns Weigerung, sie wahrzunehmen, und sein ständiges Hin-und-her-Gerenne zwischen den zwei, drei Zimmern zerrten an ihren Nerven.
    Gegen sieben, als es bereits dunkel wurde, klingelte das Telefon. Heinrich und Sharmistha luden sie zum Essen ein. »Nein, danke«, sagte John und legte auf. Als es erneut zu klingeln anfing, bückte er sich und zog den Stecker aus der Wand.
    »Verdammt noch mal!«, sagte Elaine. »Mich gibt es auch noch, verstehst du!«
    John trug das Telefon in die Küche und stellte es in einen Schrank.
    »Wir müssen doch wenigstens etwas essen«, rief sie hinter ihm her.
    John musste nicht.
    Elaine beobachtete ihn. Was John erlebt hatte, war wirklich furchtbar, aber trotzdem benahm er sich schlecht. Sie machte den Fernseher an und versuchte, sich auf eine Sendung zu konzentrieren. Es ging darum, die Essensverkäufer von den Straßen Delhis zu entfernen. Wenigstens fliegen wir morgen zurück, dachte sie. Dann verlasse ich ihn.
    John hatte sich jetzt neben sie gesetzt. Es war bereits Abend, und weil kein Tageslicht mehr da war, fiel das farbige Licht desBildschirms auf sein Gesicht. Sie wandte sich ihm zu und sah, wie angespannt er war. Und während sie beobachtete, wie sich seine Lippen bewegten, wie die Kiefernmuskeln arbeiteten und ein Nerv an seiner Augenbraue zuckte, erkannte sie, dass sie ihn noch nicht ganz aufgegeben hatte. Seine Mutter hat sich umgebracht, dachte sie. Zusammen mit einem Teenager. Das musste schon sehr verstörend sein.
    »John?«, fragte sie vorsichtig.
    Er gab keine Antwort.
    Im Fernsehen lief eine Comedy-Serie, halb auf Hindi, halb auf Englisch. John starrte hin, ohne zu lachen. Mit sanfter Stimme sagte sie: »Eigentlich bin ich hergekommen, um den Heiratsantrag anzunehmen, den du mir gemacht hast. Weißt du noch? Per SMS?«
    John holte tief Luft.
    »Warum sonst sollte ich wohl ins Flugzeug steigen und nach Indien fliegen? Deshalb habe ich das Theaterstück sausen lassen. Um deinen Antrag anzunehmen.«
    Johns Miene blieb ausdruckslos. Es ist ihm egal, dachte sie. Er hat es sogar schon vergessen. Es war Monate her, und sie hatte damals ganz entschieden Nein gesagt. Sie hatte eine Lektion fürs Leben gelernt.
    Jetzt stand John auf und ging erneut durch die Wohnung, diesmal in die Küche. Elaine war
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