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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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kennenlernen werden. Wir betrachten die Schränke, die mit ramponierten Gesellschaftsspielen vollgestopft sind, und die Wände, an denen sich die künstlerischen Inspirationen langer Sommerferien präsentieren. Über meinem Bett hängt ein Bild vom Haus, wie es nach einem Erdbeben ausgesehen haben muss.
    Wir lassen Simone und Henk mit zwei wutschnaubenden Kindern unter der Überdachung der Terrasse zurück, steigen ins Auto und machen uns auf zu einem Termin auf einem Weingut mit niederländischen Besitzern. Während Aad fährt, blicke ich über die unendliche Ebene mit ihren graugrünen Weinbergen, die im leichten Nieselregen mit dem Horizont verschmelzen. Ich merke, wie sich ein dumpfer Widerstand in mir regt, sich eine Warum-Frage aufdrängt, die ich ärgerlich beiseiteschiebe. Dann beginnt das Land leicht abzufallen, und noch ein Stückchen weiter rufen Baumgruppen und Natursteinmauern tatsächlich die Assoziationen hervor, die man in Frankreich erwartet. Die Sonne bricht durch und wirft ihr Licht auf ein Feld mit dunkler Erde, auf dem eine große Gruppe Gänse im Matsch wartet, ihr weißes Gefieder voller dunkler Flecken. Ich stelle mir vor, wie einer nach der anderen Tag für Tag mit einer Hochdruckspritze püriertes, fettes Futter verabreicht wird.
    Wir stellen das Auto vor einer kleinen Gebäudegruppe aus dunklem Naturstein ab, ein stämmiger, zufrieden dreinblickender Franzose kommt auf uns zu. Er ist hier angestellt und gut versorgt in einem großen, geschmackvoll umgebauten Haus mit einem BMW vor der Tür zurückgelassen worden. Der Besitzer schaut nur ab und zu vorbei und nimmt dann mit dem kleineren Apartment über dem Weinkeller vorlieb.
    Der Mann führt uns mit angemessenem Stolz durch den blitzsauberen cave , den Weinkeller, in dem mit mathematischer Präzision glänzende Edelstahl-Weinfässer aufgestellt sind. Ich sehe beeindruckende Maschinen, deren Funktion ich nicht kenne, stelle mir den intensiven Landbau vor, der all dem hier vorangegangen sein muss, denke an das Wort »Investitionsobjekt«. Ich fühle die große Distanz zwischen mir und allem, was ich hier sehe – ganz anders als Aad. So wie überall ist er auch hier sofort in seinem Element und läuft begeistert hinter dem Angestellten her, beklopft die Weinfässer und kommentiert das Gesehene mit dem Habitus eines Kenners. Dann bekommen wir beide ein großes, frisch poliertes Weinglas in die Hand gedrückt, das schnell hintereinander mit Weinproben aus den Fässern X, Y und Z gefüllt wird. Es sind noch sehr junge Weine, die noch nicht assembliert sind, also noch nicht im richtigen Verhältnis gemischt wurden. Meine wichtigste Aufgabe bei all dem ist es, einen neutralen, aber interessierten Gesichtsausdruck zur Schau zu stellen, während harte Tannine meine Mundwinkel nach unten zwingen und ein hoher Säuregrad meine Lippen zu einem dünnen Strich verzieht. Erleichtert spucke ich die letzten Reste des Gebräus in den Eimer und folge den Männern in den Weinkeller, in dem lange Reihen makelloser Fässer in einem geharkten Bett aus feinem Kies liegen – es sind die älteren Weine. Jetzt schmecke ich Nuancen, die mir bekannt vorkommen, die ich einordnen kann. Ich rieche Kirschen, Himbeeren, so etwas wie Leder – wenn das möglich ist. Ich schmecke: voll, konzentriert, aber auch fruchtig, etwas Prickelndes, was auch immer das sein mag. Ich sage wenig, denn ich verstehe von diesen Weinen trotzdem noch nicht genug.
    Am nächsten Tag treffen wir uns mit einem netten älteren Niederländer, der schon jahrelang als einflussreicher Weinhändler in Bordeaux ansässig ist. Auf der Suche nach der richtigen Adresse fahren wir über endlose, gerade Straßen mit farblosen Flachbauten aus dem vorigen Jahrhundert. Uns fällt auf, dass das majestätische Zentrum von Bordeaux ziemlich klein ist.
    Unser Gesprächspartner lädt uns zu einem Essen ins Clubhaus eines Tennisvereins ein. Ich muss an die nach nassen Handtüchern riechende Kantine des Clubs denken, in dem ich als Kind Tennis spielte, finde mich dann aber in einem großen, hellen Raum mit langen Gardinen, lachsfarbener Tischwäsche und einer unendlichen, funkelnden Aneinanderreihung von in Gruppen aufgestellten Weingläsern wieder. Ich schiebe eine der schweren Gardinen ein wenig zur Seite und schaue nach draußen – tatsächlich, Tennisplätze.
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