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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Alltagsgeschäften nach.

3
    Seit Aad die Agentur leitet, sitzt er mit den großen Jungs an einem Tisch, und große Jungs trinken teure Weine, die auch Aad immer besser schmecken. Nach einem Château Lynch Bages ’84 können uns die Weine aus der Neuen Welt, die in unserem Küchenschrank stehen, immer weniger überzeugen. Aad beginnt, an Weinproben teilzunehmen, und kommt jedes Mal strahlend und mit immer teureren Flaschen Wein nach Hause. Bei Ikea belädt er seinen Land Rover mit Stapeln zerlegbarer Weinregale, mit denen er schon bald den Keller vollgestellt hat. Wir kaufen neue, angemessene Weingläser, und der Stapel Weinführer neben dem Sofa wächst stetig. Aad ist nicht der einzige Mann aus der Nachbarschaft, der während einer Einladung zum Essen ständig Weingläser poliert und sich einen neuen Wortschatz antrainiert, mit Wörtern wie »Adstringenz« und »Blumigkeit«.
    Ich betrachte die schnuppernden und glucksenden Männer mit liebevoller Ironie. Ich kann mir keine Jahreszahlen und Appellationen merken, bin aber trotzdem verrückt auf Wein und probiere mit großer Freude all die Herrlichkeiten, die sich mir auf einmal anbieten.
    Eine alte Schulfreundin von Aad ist mit einem Schweizer Winzer verheiratet, und in den Jahren, bevor Aad mich kennenlernte, ist er oft bei dem Paar zu Besuch gewesen. Er mochte die indianischen Lebensweisheiten, die Stéphan zum Besten gab: »La terre n’est pas à moi, je suis à la terre …« Wie schön und edel. Den Boden bearbeiten, selber hervorragende Weine herstellen – auf einmal war Aads Traum geboren. Wein herstellen! Wie wär’s, wenn wir das machten?
    In diesem Sommer segeln wir mit den Kindern in Griechenland. Wir meistern ohne Probleme Windstärke sieben und verleben Tage, an denen wir niemanden sehen als uns. Es ist offenbar möglich, dass wir uns völlig von allem frei machen können. Wir gemeinsam gegen den Rest der Welt.
    Â»Von mir aus können wir ein Weingut suchen«, sagt Aad. Ich versuche, es mir vorzustellen, ein Haus wie Le Héroussard , aber in den Weinbergen – ein Haus mit einer Einkommensquelle. Wir stellen etwas Echtes her, ein Naturprodukt, nicht nur leere Worte, sondern Flaschen, die man anfassen kann. Aber das alles geht mir auch ein wenig zu schnell: Natürlich trinke ich gerne Wein, ich bin sogar verrückt auf Wein. Aber reicht das, um es zu meinem Beruf zu machen? Müssen wir wirklich so weit weggehen, um ein neues Leben zu beginnen? Aad will nicht mehr darüber reden. »Ich weiß, was ich will«, sagt er, »jetzt musst du dich entscheiden.«
    Im Zentrum von Haarlem liegt der Weinhandel »Okhuysen«. Während einer Weinprobe im Gewölbekeller lernen wir Xavier van Okhuysen kennen, den Sohn des Besitzers. Er ist ein sympathischer junger Mann Mitte 30, Niederländer, der aber auch ohne Weiteres als typischer Franzose durchgehen könnte. Die letzten Jahre hat er in Bordeaux gelebt, jetzt steht er davor, den Weinhandel seines Vaters zu übernehmen. Mir fällt auf, dass er anders ist als viele der Männer, die wir auf den Weinproben treffen. Dieser junge Mann weiß so viel über Wein, dass er ohne jeden Snobismus auskommt.
    Â»Gut«, sagt Xavier, »ihr wollt also wirklich ein Weingut kaufen?« Ein Anflug von Spott in seinem Lächeln lässt mich vermuten, dass er das schon öfter gehört hat. Ich sehe seine Kunden vor mir, ältere Herren, die sicher auch gerne mal über ein nettes Schlösschen als Kapitalanlage nachdenken, vereinzelte glückliche Paare wie wir, die großartige Pläne schmieden, die sie nie in die Tat umsetzen. Aber Xavier ist ein netter Kerl, und so setzt er sich mit uns zusammen und ruft einige seiner alten Bekannten in Bordeaux an, sodass wir mit einem Kalender voller Termine nach Hause gehen.
    Aus dem Reiseführer von »Gîtes de France« suchen wir ein großes Natursteinhaus mit ausreichend Platz für uns, meine Mutter Simone und ihren Freund Henk heraus. Auf der Autobahn fahren sie hinter uns her, auf unserer Rückbank winken die Mädchen.
    Endlich kommt die Ausfahrt in Sicht. Über kleine, sich dahinschlängelnde Wege erreichen wir ein Haus, das versteckt hinter einer niedrigen Mauer auf uns gewartet hat. Eine erdige Feuchtigkeit dringt aus dem Haus, als wir die Türen öffnen. Vorsichtig treten wir in das Leben einer Familie, die wir nie
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