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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes
Autoren: Di Morrissey
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helfen. Für mich wäre es dann auch einfacher zu begreifen, daß sie wirklich nicht mehr da ist.«
    »Ja, ich hätte dich auch gerne dabeigehabt, Sami. Aber du stehst schließlich vor dem Examen … Es war schon irgendwie … merkwürdig.«
    Sami hörte das Zittern in der Stimme ihrer Mutter. »Daddy wollte wissen, wie es dir geht. Er sagt, er will sich nicht aufdrängen, er hofft, daß du zurechtkommst.«
    »Ich komme natürlich zurecht, du kennst mich doch. Es ist nur …« Lilys Stimme brach ab.
    »Was hast du, Mami? Du vermißt sie doch nicht etwa? Ich meine, du hast ja nicht besonders viel von ihr gehabt oder?«
    »Sie war schließlich meine Mutter, Sami …und ich denke viel über sie nach. Über sie und ihr Leben.«
    »Wir wissen ja auch nicht viel über sie«, sagte Sami mit einer gewissen Schärfe. »Ich finde, es war sehr egoistisch von ihr, alles für sich zu behalten. Sie hat uns nie irgend etwas erzählt. Jedesmal, wenn ich sie nach ihrer Familie fragte, wiegelte sie ab und meinte, ich bräuchte das nicht zu wissen. Ich muß es aber wissen, Mami!« Jetzt war es Samis Stimme, die zitterte. »Das ist doch ein Teil von uns. Es kommt mir vor, als hätte sie uns unsere Familie weggenommen, ausgelöscht. Und jetzt gibt es nur noch dich und mich, ein Bündel Briefe und ein paar Fotos von Leuten, die wir nicht einmal kennen. Was soll ich denn meiner Tochter erzählen, wenn ich einmal eine habe?«
    »Beruhige dich, Sami. Sei nicht so melodramatisch. Du hast natürlich recht, Liebes. Deswegen bin ich ja auch so traurig, aus eben diesen Gründen, und ich mache mir Vorwürfe, dich genauso im Stich gelassen zu haben …«
    »Aber Mami. Das hast du nicht. Vielleicht finden wir eines Tages die Zeit, die Spuren unserer Vorfahren zu verfolgen und unseren Stammbaum aufzudecken. Bitte sei nicht traurig, Mami. Soll ich nicht doch lieber zu dir kommen?«
    »Nein, mein Schatz. In ein paar Monaten sind Ferien. Konzentriere dich auf deine Prüfungen und arbeite gut. Vielleicht machen dann wir was ganz Besonderes, fahren irgendwo hin, wo es schön ist … wir lassen uns was einfallen – falls du nicht was anderes vorhast.«
    »Nein, ich freue mich! Abgemacht, Mami. Ich hab dich lieb.«
    »Ich dich auch. Paß auf dich auf, Sami.«
    Lily legte auf. Sie war dankbar für das Mitgefühl ihrer Tochter, dafür empfand sie nun die Trostlosigkeit um so stärker. Offenbar schien die Geschichte sich zu wiederholen. Nachdenklich legte Lily die Briefe und Fotos in den Lederkoffer zurück, bis auf das Bild im Silberrahmen von dem Mann aus Broome. Sie behielt die Perlenkette an und schlief in dieser Nacht nackt, nur mit den Perlen um den Hals. Auf ihrer Haut fühlten sie sich warm und lebendig an, und als Lily während der Nacht kurz erwachte und die Perlen im Mondlicht schimmern sah, kam es ihr so vor, als seien sie zum Leben erwacht, denn sie schienen von innen heraus zu leuchten.
    Am nächsten Morgen stand ihr Entschluß fest. Sie würde drei Monate Ferien machen. Sie arbeitete als technische Assistentin in einem Forschungslabor und hatte lange Zeit keinen Urlaub mehr genommen. Sie würde nach Broome fahren und dort mit der Suche nach ihrer Vergangenheit und der Familie ihrer Mutter beginnen. Das war sie sich selbst und ihrer Tochter schuldig.
    Je mehr Lily über Georgiana und ihr merkwürdiges Verhalten nachdachte, desto mehr gelangte sie zu der Überzeugung, daß es Geheimnisse gab, die ihre Mutter am liebsten vergessen und begraben hätte.
    Es überraschte sie, wie einfach alles manchmal ging. Im Verlauf von nur wenigen Wochen hatte sie ihr Leben vollkommen umgekrempelt.
    Tony, ihr Geliebter, ihr guter Freund und Lebensgefährte, reagierte zunächst leicht irritiert und wollte wissen, warum sie ausgerechnet jetzt mit der Spurensuche begann. »Warum hast du das nicht schon vor Jahren gemacht? Du sagtest, du hattest dieses Bedürfnis ganz stark, als du mit Sami schwanger warst. Warum jetzt? Was willst du damit bezwecken?«
    Sein sanftes Befragen veranlaßte Lily, die Antworten in ihrem Herzen zu suchen. Schon einige Male in ihrem Leben hatte sie den tiefen Wunsch verspürt, ihre Familie, ihre Herkunft zu ergründen. Während der Schwangerschaft hatte sie über das Wunder der Vererbung, über Gene und erbliche Merkmale gegrübelt, aber aus Zeitgründen war sie nie dazu gekommen, dem ernsthaft nachzugehen. Sie hatte sich vorgenommen, ihrer Mutter eines Tages bei einer gemütlichen Flasche Wein alle notwendigen Fragen zu stellen,
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