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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes
Autoren: Di Morrissey
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verlieben. Er hatte einen anstrengenden Beruf und erwachsene Kinder, ja sogar Enkelkinder.
    Aber Lily hatte sich durch seine harte Schale hindurch in sein Herz geschlichen und sich, wie er gestehen mußte, in seiner Seele eingenistet. Es schien ihnen wie ein Wunder, zusammen eine emotionale und sexuelle Leidenschaft zu erfahren, die sie nie zuvor erlebt hatten. Beiden schien ihr Arrangement geradezu perfekt, denn das Getrenntleben ließ das Romantische ihrer Beziehung nicht verkümmern und schürte ihr Verlangen.
    Zu Beginn ihrer Beziehung spürte Lily, daß Tony keine Verantwortung für das Glück eines anderen Menschen übernehmen wollte. In der Umgewöhnungsphase nach ihrer Scheidung hatte sie die unschätzbare Lektion gelernt, mit sich alleine auszukommen, aus der eigenen Kraft zu schöpfen und für das eigene Leben verantwortlich zu sein.
    Ein steiniger Weg, mit Tränen des Selbstmitleids gepflastert, aber sie hatte ihn gemeistert, war eine starke, selbstbewußte und doch sanfte und geduldige Frau geworden. Tony wunderte sich oft über das Ausmaß ihres Verständnisses, ihrer Wärme, ihrer Toleranz. Ohne sich dessen bewußt zu sein, war sie eher eine Gebende denn eine Nehmende geworden. Die Bande jedoch, die zwei Menschen knüpfen, sind nicht aus unbiegsamem Stahl gemacht, sie dehnen und spannen sich, schnappen zurück wie elastisches Gummi, und nichts bleibt wie es war. Das Leben erforderte immer wieder kleinere Anpassungen und ein beständiges Festigen und Lockern dieser Fesseln. Trotzdem wurden gewisse Themen nicht angerührt, und Lily hatte nun viel Zeit, einige Faktoren in ihrem Leben neu zu überdenken. Fand sie womöglich nicht das, wonach sie suchte, oder mochten ihr die Antworten nicht behagen, so hatte ihr Leben dennoch zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einen Sinn.
     
    Lily fuhr aus ihren Gedanken auf und stellte die Rückenlehne ihres Sitzes gerade. Die Maschine war bereits im Landeanflug auf Darwin. Als Lily aus der klimatisierten Kühle des Flugzeugs trat, schlug ihr feuchtwarme Luft entgegen und ließ sie an Asien denken. Die üppigen Palmen, der blendend helle Sonnenschein, der lächelnde Flughafenbeamte in Shorts, Socken und kurzärmeligem weißem Hemd erinnerten sie daran, daß sie sich hier in den Tropen befand. Sie lächelte zurück. »Sie finden Ihre Koffer da drüben auf der linken Seite«, sagte der Mann.
    »Hoffentlich nicht«, scherzte Lily. »Die sollen nämlich nach Broome weiterreisen.«
    »Man weiß nie, junge Frau. Alles Glückssache.«
    Lily checkte noch einmal ihren Anschlußflug und die genaue Abflugzeit, dann stieg sie in ein Taxi und fragte nach dem Museum.
    »Tolle Ausstellung da. Auch'n hübsches Gebäude. Wird Ihnen gefallen. Endlich haben die Bürokraten mal was Richtiges gemacht. Wurde auch Zeit«, kommentierte der Fahrer mit einem gewissen Sarkasmus.
    Er hielt vor einem Gebäude mitten im Grünen auf einer Landzunge nahe Mindil Beach. Als Lily durch das große Glasportal trat, fielen ihr sogleich die Holzschnitzereien der Aborigines von den Inseln im Norden Darwins und aus Arnhem-Land auf, und sie wurde augenblicklich gefangengenommen vom Zauber dieser geheimnisvollen Kultur. Etwas Spirituelles, ja geradezu Magisches ging von diesen Holzarbeiten und ockerfarbenen Malereien aus.
    Der erste Raum präsentierte eine umfassende Ausstellung der Kunst der Aborigines mit Exponaten aus allen Teilen Nordaustraliens. Es waren Arbeiten auf Rinde oder Leinwand in einem Stil, der so gar nichts mit westlicher Kunst gemein hatte und vielmehr einer uralten Kultur und einer beinahe unbegreiflichen spirituellen Welt entstammte, der sogenannten
Traumzeit
. Bei ihrem Rundgang durch die Ausstellung fühlte Lily sich auf eine merkwürdig aufregende Art mit der Kunst der Ureinwohner verbunden, obwohl sie so gut wie nichts davon verstand.
    Ein Hinweisschild mit Pfeil ›Zum Marinemuseum‹ weckte Lilys Neugier und ließ sie aus ihrem tranceähnlichen Zustand erwachen, in dem sie sich beim Betrachten der Aboriginekunst verloren hatte. Sie folgte dem Schild und stand alsbald vor einer Sammlung der ungewöhnlichsten Segelfahrzeuge. Da gab es den Einbaum, das aus einem ausgehöhlten Baumstamm bestehende Kanu der Eingeborenen, winzige Boote mit absonderlich geformten Segeln und den
prau
, das große Segelschiff für den Handel mit den indonesischen Inseln, ein vietnamesisches Flüchtlingsboot und Auslegerboote aus Papua Neuguinea. Doch das Glanzstück der Ausstellung verschlug ihr fast die
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