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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes
Autoren: Di Morrissey
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gehütet und geschätzt werden wie die Liebe, zerfallen sie zu Staub.«
    Du warst mein Leben, und auf meine Weise habe ich das Beste für dich getan. Außer dir brauchte ich keine Familie.
    In Liebe,
    Deine Mutter
    Lily kamen die Tränen, als sie die Worte ihrer Mutter las. Es war das erste Mal, soweit sie sich erinnern konnte, daß Georgiana sich selbst ›Mutter‹ nannte.
    »Warum hast du mir das nicht schon eher gesagt! Du warst alles, was ich hatte, Georgie. Meine Mutter, sicher, aber ich brauchte mehr!«
    Lily wurde von Schluchzen geschüttelt, sie weinte um den Verlust der Mutter und der Familie, die sie nie gekannt hatte, um die Frau, die sie selber war und die sie nicht verstand und um ihre eigene Tochter, der sie so wenig von ihrer Vergangenheit vermitteln konnte.
    Irgendwann verebbten die Tränen und das Schluchzen. Lily nahm das Päckchen zur Hand und wickelte es aus.
    Es enthielt einen blauen Samtbeutel. Sie knotete die Kordel auf und zog eine Schnur herrlicher, großer, schimmernder Perlen heraus. Lily stockte der Atem, als sie die Pracht in der Hand hielt. Wie gebannt schaute sie auf den seltsam geformten Perlmuttanhänger in der Mitte der Perlenkette. Auf seiner Oberfläche waren parallele Linien, ein Kreis mit kleineren Kreisen und ein X eingeritzt.
    Unwillkürlich schlang sie sich die Perlenkette um den Hals und legte die Hand auf den Anhänger. Er fühlte sich glatt und kühl an. Lily schloß die Augen, und es überkam sie ein wunderbares Gefühl.
    Und dann, wie durch einen feinen Schleier, kam die Erinnerung. Sie hatte diese wunderschöne Halskette schon einmal gesehen. Sie wurde auf einem dunkelblauen Seidenkleid getragen von … der Dame aus dem Blumengarten. Ein anderes Bruchstück tauchte in ihrem Gedächtnis auf. Sie waren Hand in Hand durch den Garten gegangen. Ihre Urgroßmutter hatte ihr die Namen der Blumen erklärt. Einmal hatte sie sich zu Lily heruntergebeugt und sie angelächelt. Das kleine Mädchen hatte die Hand nach dem Perlmuttanhänger ausgestreckt, und ihre Urgroßmutter hatte ihr die Kette umgelegt und gesagt: ›Eines Tages wird sie dir gehören, kleine Lily.‹
    Dann war Georgiana gekommen und hatte gemeint, es sähe albern aus, wenn ihr die Kette bis zu den Knien baumelte, hatte sie ihr abgenommen und erklärt: ›Sie könnte sie kaputtmachen.‹
    Lily hatte diesen Vorfall längst vergessen, doch nun stand alles wieder vor ihr. Das war bei dem einzigen Besuch gewesen, den sie ihrer Urgroßmutter in Perth abgestattet hatten. Sie fragte sich, warum sie ihre Mutter diesen Familienschmuck nie hatte tragen sehen. Er war ganz offensichtlich alt und kostbar. Noch kostbarer wurde er jedoch durch die Erkenntnis, daß es sich um ein Familienerbstück handelte. Lily wurde sich bewußt, daß diese Halskette die einzige Verbindung zu ihrer unbekannten Familie darstellte.
    Sie streckte die verkrampften Beine aus, leerte ihr Weinglas und begann, ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen, die prächtige Perlenkette noch immer um den Hals.
    Ihr erster Impuls wäre gewesen, nach dem Telefonhörer zu greifen und ihre Tochter anzurufen. Sie ließ es, sie wollte ihre Tochter, die mitten im Examen steckte, nicht mit ihrem Kummer behelligen. Dann erwog sie, den Mann anzurufen, den sie liebte. Sie wußte, daß Tony sie trösten würde, aber dazu mußte sie in seiner Nähe sein, sie brauchte seine Zuwendung, seine Zärtlichkeit, seine Arme, in denen sie weinen konnte. Die räumliche Entfernung und ihr Privatleben trennte sie beide.
    Plötzlich fühlte Lily sich entsetzlich allein.
     
    Die nächsten Wochen verbrachte sie damit, den Nachlaß ihrer Mutter zu ordnen: Sie verkaufte einiges, verschenkte anderes und bot die Wohnung zum Verkauf an. Doch sie konnte das Gefühl des Verlusts, das sie empfand, ihre innere Unruhe und den quälenden Wunsch, die Lücken in ihrer Vergangenheit zu schließen, nicht abschütteln.
    Die Perlenkette hatte einen Sturm der Gefühle in ihr hervorgerufen. Wiederholt ertappte sie sich dabei, wie sie sich im Badezimmerspiegel anstarrte, ihre Gesichtszüge studierte und nach Hinweisen auf die unbekannten, schemenhaften Verwandten suchte, die diesen Menschen namens Lily hervorgebracht hatten.
    Wo kam sie her … welche Gene hatte sie an ihre eigene Tochter weitergegeben?
    Als ob sie ihren stummen Ruf vernommen hätte, rief Samantha an. »Ich denke viel an dich, Mami. Es muß schwer sein, Georgies Sachen auszusortieren und so … Ich wünschte, ich wäre gekommen, um dir zu
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