Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
besaß? Sie hatte ihre Mutter geliebt, sie war so offensichtlich anders als andere Mütter, und Lily wünschte sich jetzt von Herzen, sie hätte ihre Mutter besser gekannt. Wirklich gekannt – die wichtigen Stationen ihres Lebens, was sie erlebt, was sie begeistert, was sie verletzt hatte. Ihre unerfüllten Träume. Was in ihr vorging, als Lily geboren wurde. Über solche Dinge hatten sie nie miteinander gesprochen. Sie hatte ihre Mutter nie gefragt, und die hatte nie etwas gesagt. Und jetzt war es zu spät. Die Hoffnungslosigkeit dieser Tatsache rief in Lily ein Gefühl der Schuld, des Versagens und der Enttäuschung hervor. Georgiana, ihre verrückte, rastlose Mutter, hatte ihr Leben mit Reisen und Dramen erfüllt und ihr immer wieder gesagt, wie glücklich sie sich schätzen könnten, nicht durch Familienbande gehalten zu werden. Nur sie beide gegen den Rest der Welt. Und Lily hatte ihr geglaubt – bis sie selbst eine Familie gründen und in der Gewißheit leben wollte, künftig an ein und demselben Ort bleiben zu können.
    Wie gern hätte Lily die Familie ihrer Mutter gekannt, wie gern ihren Vater und dessen Familie. Georgiana hatte mehrere Ehemänner verschlissen, einschließlich Lilys Vater. Sie hatten sich während des Kriegs kennengelernt. Er war ein charmanter amerikanischer Marineoffizier, sie jung und abenteuerlustig. Nach einer kurzen Zeit des Werbens und einer, wie ihre Mutter es abfällig nannte, ›mickrigen‹ Hochzeit, war sie als Kriegsbraut an Bord gegangen.
    Lily wurde 1947 in Kalifornien geboren, doch das Leben in Torrence, Kalifornien schien nicht dem zu entsprechen, was Georgiana sich nach dem Genuß amerikanischer Filme vorgestellt hatte. Sie ließ sich scheiden, als Lily noch im Krabbelalter war, und sah keine Veranlassung, mit ihrem Ex-Mann noch irgendwelchen Kontakt zu pflegen. Sie erzog Lily in dem Glauben, daß ihr Vater kein Interesse an einer Tochter gezeigt hatte, die er kaum kannte. Und was die Schwiegereltern anging, hatte Georgiana sich nur geschüttelt und wieder einmal betont, wie glücklich sie beide seien, frei wie die Vögel zu leben und sich ihre Freunde selbst aussuchen zu können, anstatt sich mit unbequemen Anverwandten herumschlagen zu müssen.
    Lilys Kindheits- und Jugenderinnerungen bestanden aus Internatsschulen und Ferien mit ihrer Mutter an exotischen Orten. Dies waren die kostbaren Momente, die nur ihnen beiden gehörten. Georgiana behelligte Lily niemals mit Stiefvätern, und Lily brach jedesmal das Herz, wenn sie am Ende der Ferien ihre unternehmungslustige Mutter verlassen und ins Internat zurückkehren mußte.
    Georgiana hatte ihrerseits nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie ein schwieriges und wildes Kind gewesen war und ihrer Mutter viel Kummer bereitet hatte.
    »Ich ging lieber ins Internat als da im Westen festzusitzen. Du wirst es mir eines Tages danken, daß ich dich in gute Schulen geschickt habe, glaube mir«, pflegte sie zu Lily zu sagen.
    Georgiana lehnte jedes Gespräch über die ›Familie‹ ab und beschränkte sich auf Anekdoten oder wenig schmeichelhafte Bemerkungen, wie etwa die, daß sie damals als Kriegsbraut in Amerika ihre Herkunft lieber verschwieg. »Wie sich dann herausstellte, wäre das unnötig gewesen. Seine Leute waren die reinsten Hinterwäldler.«
    So hatte Lily ihre Kindheit in der Obhut anderer Menschen verbracht, immer wieder unterbrochen von verschiedenen Reisen und Aufenthalten in tropischen Somerset-Maugham-Hotels. Egal, wohin sie reisten, Georgiana hatte gewöhnlich innerhalb kürzester Zeit einen Schwarm von Verehrern um sich, Hilfe von allen Seiten und unterhaltsame Gesellschaft.
    Das einzige, was Georgiana je über ihre eigenen Eltern verlauten ließ, war, daß ihr Vater noch vor ihrer Geburt im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen war, und daß ihre Mutter im Westen gelebt hatte, einer Gegend, die Georgiana von ganzem Herzen haßte. Sie machte allen das Leben derartig schwer, daß man sie gezwungenermaßen in Perth in ein Internat steckte, wo es ihr weitaus besser gefiel. Sobald es ging, war sie nach Sydney gezogen, hatte dort als Sekretärin gearbeitet und ihren zukünftigen amerikanischen Ehemann kennengelernt.
    Soweit Lilys Wissensstand über ihre Herkunft. Es gab eine verschwommene Erinnerung an einen Besuch bei ihrer Urgroßmutter in Perth. Lily erinnerte sich an einen herrlichen Garten und eine liebe alte Dame. Wie oft hatte sie dorthin zurückgewollt, doch irgendwie schien das nie mit Georgianas Plänen in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher