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Tränen des Mondes

Tränen des Mondes

Titel: Tränen des Mondes
Autoren: Di Morrissey
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Prolog
    Broome 1905
    D er Taucher bewegte sich im Zeitlupentempo, ein schwerer Stiefel trat kleine graue Staubwolken los. Das einzige, was er hören konnte, war das ständige Zischen in seinem Luftversorgungsschlauch und sein eigenes rhythmisches Atmen, während er von dem Logger über ihm über den Meeresgrund geführt wurde. Wenn er ausatmete, stieg jedesmal eine Wolke von Luftblasen an die Oberfläche, etwa dreißig Faden über ihm. Die glasklaren Bläschen mit heißem, entfernt nach Chili und schwarzer Soße riechendem Atem, platzten irgendwann in der Nähe des driftenden Loggers auf dem Indischen Ozean auf.
    Dem an der Pumpe kauernden Helfer, der trotz seiner schläfrigen Haltung wachsam war, verriet das beständige Aufperlen der Luftblasen, daß alles normal verlief. Durch seine Hände lief das Kokosseil, das zugleich Rettungsseil und Signalseil war und die beiden Männer wie eine Nabelschnur verband. Ungeachtet des Ratterns der Handpumpe und des Geplappers der Muschelarbeiter verfolgte der Helfer die Schritte des Tauchers und steuerte den Logger in die Richtung, die der Mann unter Wasser nahm.
    Der japanische Taucher arbeitete allein, ganz im Vertrauen auf seine Fähigkeit, es lange in der Tiefe auszuhalten, Ruhe zu bewahren und Perlmuscheln ›sichten‹ zu können. Er streifte langsam über den Meeresboden, sein Korb war schon fast bis zum Rand gefüllt mit den breiten, flachen, grauen Schalen, die für andere so schwer auszumachen sind. Beinahe eine Stunde verbrachte er in dieser Welt von eigenartiger Fremdheit und Schönheit und blieb doch von den Geheimnissen und dem Zauber um ihn herum unberührt. Er hatte schon früh in seinem Beruf gelernt, die Einzigartigkeit der Unterwasserwelt zu vergessen. Nur ein winziger Augenblick der Unachtsamkeit konnte ihn manch schönen Fund kosten oder sogar einen Unfall herbeiführen.
    Die Luft aus dem Versorgungsschlauch erfüllte seinen Schädel mit einem beständigen Rauschen. Wie ein Wesen von einem anderen Stern wanderte die wulstige Gestalt mit dem befensterten Kupferhelm durch den Wasserkosmos – ein Fremder in einer fremdartigen Welt.
    Er hatte fünf Jahre auf Thursday Island gearbeitet und war für weitere drei Jahre hier in Broome verpflichtet worden. Er war ein As unter den Tauchern, einer der Besten seiner Zunft. Er gehörte zu den Männern, die auf dem Meeresgrund zu Hause waren. Den Männern, die tiefer tauchten, länger unter Wasser blieben und mehr Perlmuscheln fanden als Weiße, Malaien oder Aborigines. Er hatte sein gut Teil an gestohlenen Perlen verkauft, Geschäfte gemacht, aus Perlenfunden und Perlmuttausbeute Profit geschlagen. Dies war jedoch seine letzte Saison. Sobald er wieder Fuß an Land setzte, würde er nach Wakayama und zu Akiko San zurückkehren.
    Hatte ihn der Gedanke an die Frau abgelenkt? Wurde seine stete Wachsamkeit für einen Augenblick von der Erinnerung an den warmen Körper, das seidige Haar und die süße Stimme getrübt? Oder hatten die Götter beschlossen, daß an diesem Tag, in diesem Moment seine Zeit gekommen sei? Der kleine Talisman aus Walfischknochen unter den vielen Schichten aus Flanell, Gummi und Segeltuch bot keinen Schutz vor den Ereignissen, die nun hereinbrechen sollten.
    Aus dem Augenwinkel nahm er eine rasche Bewegung wahr, erhaschte einen großen Schatten, der sich auf ihn zubewegte. Ungewollt atmete er heftig aus, der Schwall von Luftblasen verstörte die silbrige Gestalt. Der riesige Schwertfisch schwang herum, sein breites, tödliches Schwert durchschnitt das Wasser. In seinem Weg der Luftversorgungsschlauch und das Rettungsseil, die über dem Kopf des Tauchers baumelten. Aber der gewaltige Fisch ließ sich nicht beirren.
    Die rote Gummiarterie über dem Taucherhelm wurde zur Hälfte durchtrennt. Mit lautem Getöse entwich die Luft aus dem Schlauch und wirbelte das Wasser zu einer brodelnden Wolke auf. Der Taucher war durch den Schlag aus dem Gleichgewicht geraten und nestelte verzweifelt an seinem Handventil, um die restliche Luft in seinem Taucheranzug zu halten, damit er es bis an die Oberfläche schaffen konnte.
    Der Helfer im Boot merkte, daß etwas passiert war. Er hatte das plötzliche Rucken und Erschlaffen des Luftversorgungsschlauchs gespürt, noch ehe der Taucher ihm verzweifelt Zeichen gab, ihn heraufzuholen.
    Im Normalfall stieg der Taucher nach und nach an die Oberfläche, legte immer wieder Dekompressionspausen ein, damit sich kein Stickstoff im Blut ansammelte. Der Helfer erkannte jedoch an
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