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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Autoren: emons Verlag
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1
    Es war so gut wie Weihnachten, nur eins fehlte noch:
Töttchen zum Fest. Das mochte sich läppisch anhören, ganz so, als gäbe es
praktisch nichts auszusetzen bis auf eine winzige Kleinigkeit. Von einer Kleinigkeit
konnte aber nicht die Rede sein. Ohne den traditionellen Fleischbrei war
Weihnachten nicht Weihnachten, das stand fest. Wenn der fehlte, konnte man sich
das übrige heilige Getue, die frommen Lieder mitsamt Baum und Geschenken, glatt
sparen.
    Vorausgesetzt natürlich, man mochte das Zeug.
    Der Mann stand am Fenster des Penthouses und ließ den Blick über die
Lichter der Stadt schweifen. Ein idyllischer Ausblick: das warme Licht, das die
Fenster unzähliger Wohnungen da draußen erleuchtete, die Giebel der
Fachwerkhäuser, bunte Lichterketten, die etliche Vorgärten und die winterlich
kahlen Bäume auf der Promenade zierten. Der Anblick stimmte ihn milder.
    Vielleicht bin ich ungerecht, dachte er. Und das an einem festlichen
Abend wie diesem. Ich bin doch viel zu weihnachtlich gestimmt, um mich zu
ärgern. Was fehlt mir denn schon? Ich bin ein Star und kurz davor, in der Welt
von mir reden zu machen. Sollen die Deppen sich ruhig den Bauch vollschlagen
und todlangweilige Ansprachen über sich ergehen lassen: Ich habe meine Ruhe,
sitze hier oben und genieße den besten Champagner, den diese lausige Stadt zu
bieten hat. Außerdem – und das ist der Knüller – bekomme ich gleich
rattenscharfen Weihnachtsbesuch, mit dem ich in dem riesigen, weichen
Wasserbett nebenan Dinge anstellen werde, die Leute, die nicht so liberal
gesinnt sind wie ich, nicht mal auszusprechen wagen. Also, wenn das nicht
weihnachtlich ist, dann weiß ich nicht, was überhaupt weihnachtlich sein soll …
    Das Penthouse war so etwas wie eine Parteizentrale. Es diente auch
als Schauplatz für inoffizielle Treffen mit Parteifreunden oder politischen
Gegnern, von denen man nicht unbedingt am nächsten Morgen in der Presse lesen
wollte. An Tagen wie diesen war es ein idealer Ort für einen Parteivorsitzenden
und frisch gekürten Kanzlerkandidaten, sich für ein paar traumhafte Stunden vom
Wahlkampfgetümmel zurückzuziehen und neue Kraft zu tanken.
    Der Mann blickte an sich hinunter und trat unwillkürlich einen
Schritt vom Fenster zurück. Er trug nichts als ein gelbes T-Shirt mit dem
Parteislogan und einen Slip mit weihnachtlichen Motiven. Eine Kombination, die
seinen Bauch auf unvorteilhafte Weise betonte, übrigens sehr zum Nachteil der
weihnachtlichen Motive, die er praktisch vollkommen verdeckte. Aber wer sollte
ihn schon sehen? Mochten die Fensterscheiben auch bis zum Boden reichen – um
etwas zu erkennen, mussten die Paparazzi schon einen Helikopter mieten, und
dazu waren sie zu knickerig.
    Paparazzi – davon träumst du vielleicht, grinste er sein Spiegelbild
in der Fensterscheibe an. Aber wart’s nur ab, schon bald kommt die Zeit, da
wirst du dich kaum vor ihnen retten können.
    Ein kurzer Blick auf die Uhr versetzte seiner Partylaune einen
Dämpfer. Seit fast zehn Minuten wartete er jetzt bereits. Er fragte sich, ob
die Zicke den Termin vielleicht vergessen hatte. Wenn aber nicht, was erlaubte
sie sich, zu spät zu kommen? War sie sich überhaupt bewusst, wen sie heute
Abend mit ihren Diensten beglücken, wessen Sinne sie mit ihren weiblichen
Reizen betören sollte?
    Leicht schwankend machte er kehrt, trat an die Bar und goss sich
Champagner nach. Es war schon sein fünftes Glas, und wenn die Tussi sich noch
lange Zeit ließ, konnte man die Sache aus gewissen fitnessbedingten Gründen
sowieso vergessen.
    In diesem Moment klingelte es an der Tür.
    Endlich. Der Mann rülpste erleichtert. Das wurde aber auch Zeit. In
leichter Schlangenlinie durchquerte er den relativ engen Flur und öffnete die
Wohnungstür. Die Anzüglichkeit, die ihm schon auf der Zunge lag, blieb ihm im
Hals stecken. Er stutzte. »Zum Teufel, was soll das denn jetzt?«
    Eine Gestalt stand in der Tür, die keinerlei Ähnlichkeit mit einer
Tussi hatte. Sie war gut einen Kopf größer als er und trug ein langes schwarzes
Gewand. Ihr Gesicht verbarg sich hinter einer schäbigen Plastikmaske, die
Edward Munchs berühmtem »Schrei« nachempfunden war.
    »Sehr witzig!«, schimpfte der Mann im T-Shirt. »Haben wir etwa schon
Karneval, oder was?«
    »Du hast Mara erwartet, stimmt’s?« Die Stimme der Gestalt war ein
tonloses, heiseres Flüstern. »Aber die kommt nicht. Vergiss Mara.«
    »Hey, du Clown! Das hast du nicht zu entscheiden. Natürlich habe ich
sie
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