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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Autoren: Susanne Staun
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Schultern. »Gerne so einen und ein Ramlösa.«
    Während Dr. Madsen bestellte – und mich dabei kommentarlos korrigierte, indem er nicht um ein Ramlösa, sondern um ein Egekilde-Wasser bat – musterte ich ihn. Sollte es mich jemals nachts nach Bagdad, in die Provinz Helmand oder ins Epizentrum der Russenmafia in Moskau verschlagen, dann gerne mit einem Mann seines Kalibers. Er war derart grobschlächtig und voluminös, dass er sicher nur in solche Schlägereien verwickelt wurde, die er selbst vom Zaun gebrochen hatte, es sei denn, seine Gegner waren benebelt oder schlichtweg lebensmüde. Ein Blick von ihm genügte, um jedes Großmaul einzuschüchtern.
    Er goss mir ein und musterte mich mit seinen beunruhigenden Augen. Hastig trank ich das erste Glas Wein, um meine Nervosität zu verjagen, und nahm mir vor, direkt zur Sache zu kommen. So konnte ich wenigstens die Stille mit Worten pflastern, die ihn aufDistanz hielten. Doch dann entspannte er sich plötzlich und begann lächelnd zu erzählen. Von Kollegen, die wir beide kannten, ganz besonders von denen, die er absolut nicht mochte; von den Sekretärinnen im Institut, die sich gegenseitig mobbten, von einer früheren Rechtsmedizinerin, die er als eine
sehr, sehr böse Frau
bezeichnete, und von Dr. Banners Schweineversuch. Er füllte seine eigene private Sphäre, die sicher bis zum Bahnhof reichte, so vollkommen aus, dass ich unweigerlich an meinen verstorbenen Vater, einen Magen-Darm-Chirurgen, und seine Visiten denken musste. Mit einem ganzen Rattenschwanz weißgekleideter Puppen mit nickenden Köpfen im Schlepptau war Papa wie ein König von einem vor Dankbarkeit zu Tränen gerührten frisch operierten Patienten zum nächsten flaniert. Keiner dieser Menschen hatte auch nur eine Sekunde daran gezweifelt, dass dieser Mann Gott war. Und auch der Mann, der mir jetzt gegenübersaß und dessen Worten ich lauschte, war zweifellos ein solches Kaliber.
    Er goss mir Wein nach. Seine Finger waren dick und seine Hände wie mit Rinde überzogen. Eine neue Flasche tauchte in Gesellschaft des Egekilde-Wassers auf.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich rauche?«, fragte ich und wühlte mit einer Hand durch den Rucksack.
    »Nein, wir sitzen ja draußen.«
    »Ja, aber wenn es Sie stört …«
    »Ich habe selber geraucht, und auch meine jetzige Frau hat geraucht, als wir uns kennenlernten. Ich habe ihr dann aber gesagt, dass sie das lieber sein lassen soll, weil ich keine ausgetrockneten, verblassten Blondinen mag.«
    Ich rauchte. Und bekam im Eildurchlauf einen Überblick über die Dienstpläne, Grönland, die Färöer und die Kita. Eildurchlauf deshalb, weil er offensichtlich keine Lust hatte, ausführlicher über diese Dinge zu reden. Viel lieber erzählte er mir von einer seiner Sekretärinnen, Helle, die vollkommen
verrückt
nach ihm war. »Wirklich verrückt,Sie sollten mal sehen, wie die mich ansieht. Ha-ha. Aber ich fange nie etwas mit einer der Angestellten des Instituts an. Ich liebe meinen Job und möchte ihn gerne behalten. Trotzdem schadet es ja nicht, wenn man tagsüber ein bisschen Zuspruch bekommt.«
    Ich sah ihn an. Er log. Als er gesagt hatte, dass er nie etwas mit einer Angestellten anfangen würde, hatte er gelogen. Er hatte die Finger angezogen, sein Blick flackerte, und seine Stimme war plötzlich eine Oktave höher gewesen. Ich erkenne die Lügen der Menschen intuitiv und sofort, und wenn ich anschließend ihre Körpersprache analysiere, weiß ich, dass ich recht hatte.
    Er wusste noch nicht, ob ich ihn mochte, und wollte mich nicht abschrecken.
    Dann kam das Essen, aber ich hatte noch immer kaum Appetit und probierte nur ein bisschen. Er dagegen fraß wie ein Tier – und arbeitete sich dabei schnell und systematisch durch die erste und dann, unterstützt von mir, durch die zweite Flasche Wein. Jetzt saß er unruhig da und wartete auf den Kellner, um noch eine dritte zu bestellen. In der Zwischenzeit hatte das Gespräch sich eingegrenzt auf das Thema »Frauen«. Es gab böse Frauen, die waren in der Regel lesbisch, und es gab wunderbare Frauen, richtig viele wunderbare Frauen, die auch ihn wunderbar fanden. Das Leben war so einfach.
    Ich starrte ihn fasziniert an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Seine fingerdicken Lippen waren in ständiger Bewegung, er aß oder er redete, wenn er mir nicht zwischendurch – schwupps – meine Butter klaute. Konsterniert schaute ich von der Butter zu seinen dicken Lippen und zurück auf meinen Teller. Wieder musste ich
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