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Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Totenzimmer: Thriller (German Edition)

Titel: Totenzimmer: Thriller (German Edition)
Autoren: Susanne Staun
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starrte benommen auf meine Finger, von denen das Blut großzügig ins Gras tropfte. Nkem hingegen fischte sofort ein Taschentuch heraus, nahm meine Hand und presste eine dicke Lage auf diefast zwei Zentimeter tiefe Wunde. Natürlich drang das Blut trotzdem in Windeseile durch die vier Päckchen Taschentücher, so dass sie schließlich ihr hübsches, pinkfarbenes Haarband abnahm und mir damit einen Verband machte.
    »Das hast du absichtlich gemacht,
nne

Yoo didd id ona porrpoz
.
    Nkem hatte an der Universität Edinburgh in Chemie promoviert. Sie war mit Nigeria-Englisch aufgewachsen und sprach fast nie Dänisch mit mir, weil sie
ihre erschöpfte Zunge schonen
müsse, wie sie sagte. Ihre Stimme klang exakt wie die Bassversion von Tia Dalma aus
Fluch der Karibik
: ein faszinierender, dunkler Überfluss aus scharfen d’s und runden o’s.
Yoo didd id ona porrpoz
.
    »Nein«, jammerte ich. »Ganz sicher nicht. Das tut weh.«
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte mich besserwisserisch an. »Doch, das hast du.«
    Auch ich musste lächeln: Nkem war einfach ansteckend, und außerdem – was sollte ich sonst tun?
    »Du willst, dass ich bleibe. Du versuchst mir zu zeigen, dass du ohne mich nicht zurechtkommst,
winch
.« Sie gluckste die ganze Zeit über tief in ihrem Bauch und schnalzte mit der Zunge.
    »Hör doch damit auf, du musst doch nicht immer diese alte Leier anstimmen«, sagte ich trotzig, starrte eine Weile vor mich hin und spürte, wie unsicher ich wurde, denn vielleicht hatte sie recht. Vielleicht hatte ich das unbewusst tatsächlich aus diesem Grund getan.
    Panik ergriff mich. Es stimmte, was sie sagte – nein, noch schlimmer: Ich hatte Angst, ich hatte dezidiert Angst, ohne sie nicht klarzukommen. Nkem war der einzige Mensch auf der Welt, der es mitunter schaffte, die Schrauben in meinem Kopf, die nach meiner Geburt nie richtig festgezogen worden waren, einigermaßen anzuziehen. Und das wusste sie ganz genau:
I keep you zane
, pflegte sie bisweilen zu sagen.
    Nkem bedeutete in etwa »Mein Eigen«. Und genau das war sie,doch damit nicht genug, denn sie war auch »Meine Einzige«, auch wenn ich sie nie gefragt hatte, was das auf Igbo hieß.
    Sie tauchte in meine Tasche, nahm vorsichtig mein vollgeblutetes Graubrot heraus und legte es auf das orangefarbene Plastikschneidebrett, das sie mitgebracht hatte. Dann schob sie mit größter Vorsicht zwei Pinzettenfinger in meine Tasche, fischte das blutige Brotmesser heraus und wischte es im Gras ab.
    »Ich will nicht, dass du bleibst. Ich komme mit«, rutschte es mir plötzlich heraus, so überraschend, dass ich selbst ganz perplex dreinblickte. Da saß ich mit meiner blutigen Hand und fasste große Entschlüsse, bloß weil Nkem wegging. Es war ihre Entscheidung gewesen, das Rechtsmedizinische Institut in Kopenhagen, in dem wir beide arbeiteten, zugunsten seines kleineren Pendants in Odense zu verlassen: »Ich brauche etwas Neues, um die friedlich schlummernden, selbstzufriedenen Gehirnzellen in meinem Kopf zu aktivieren«, war ihre Begründung.
    »Aaah-haah«, antwortete sie, ohne von dem Brett aufzublicken, auf dem sie das Brot zu schneiden begonnen hatte. Irgendwann in der Mitte hielt sie inne und wandte sich mir zu.
    »Hast du nicht erst gestern gesagt, dass dir da oben zu viele alte Männer sind?« Wie immer sagten ihre mandelförmigen Augen und die schwach nach oben gezogenen Mundwinkel mehr als jedes Wort. Sie begann die Tomaten zu schneiden.
    Ich nickte. »Stimmt ja auch, aber egal. Ich bin eine Insel.«
    Das Institut für Rechtsmedizin in Odense hatte die Stelle des stellvertretenden Leiters ausgeschrieben. Der scheidende Rechtsmediziner war ein siebenundsechzigjähriger Mann, eine kleine, ebenso graue wie müde Eminenz mit leicht gebeugter Körperhaltung. Der andere Stellvertreter war Ole Banner. Auch er war um die sechzig, und obgleich er den Eindruck machte, zu gleichen Teilen aus einem Hundewelpen und einem Hüpfball zu bestehen, galt er tatsächlich als der beste Wundballistiker ganz Skandinaviens. Der Dritte imBunde war der leitende Rechtsmediziner, Hans Bonde Madsen. Er war vierundsechzig Jahre alt und sein klebriger Blick schien irgendwie in seinem gewaltigen Körper gefangen zu sein. Es hieß, er vergäße niemals eine Ungerechtigkeit oder Enttäuschung. Ich kannte diese Männer, hatte sie schon oft auf Kongressen und ähnlichen Veranstaltungen getroffen und studiert, bisher aber kaum ein Wort mit ihnen gewechselt. Man erzählte sich über diese
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