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Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Enwor 8 - Der flüsternde Turm

Titel: Enwor 8 - Der flüsternde Turm
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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E lay lag in Trümmern. Aus der stolzen Wächterin des Drachenlandes war eine Ruine geworden, äußerlich fast unversehrt, und trotzdem nurmehr ein Schatten ihrer selbst.
    Es war lange her, daß Skar hiergewesen war, selbst nach seiner eigenen Zeitrechnung gemessen, die mit der der wirklichen Welt nicht immer übereinstimmte, und trotzdem fiel ihm der Unterschied sofort auf: Einst hatten Elays schwarze Mauern Macht und Weisheit ausgestrahlt, eine Trutzburg, riesig, finster, unbesiegbar und drohend, aber nur für den, der in feindlicher Absicht hierherkam. Jetzt war es, als umgebe der Hauch des Todes die Stadt wie ein unsichtbarer, dräuender Schatten.
    Skar versuchte, den Gedanken dorthin zu verbannen, wo er hingehörte: in den Bereich seines Bewußtseins, der für Furcht und Unlogik zuständig war, aber es gelang ihm nicht; vielleicht, weil mehr Wahrheit an ihm war, als er zugeben wollte. Elay
hatte
sich verändert, auch äußerlich. Vorhin, als sie zwischen den Felsen hervorgetreten waren, hätte er für einen Moment geschworen, daß die Stadt
kleiner
geworden war, so wie ein Mensch im Alter kleiner und unansehnlicher wurde, auch ohne an zu messender Körpergröße zu verlieren. Die Stadt hatte... etwas verloren. Etwas, das unsichtbar und sehr präsent gewesen war, aber auf eine unaufdringliche, stumme Art, die dem Betrachter seine Existenz erst dann wirklich bewußt werden ließ, wenn es nicht mehr da war. Dazu kam der Regen, der in trägen Schleiern vom Himmel stürzte und alles grau und trist erscheinen ließ.
    »Bei den schwarzen Göttern von Moron«, flüsterte Kiina neben ihm. »Was ist hier geschehen?«
    Natürlich wußte Skar die Antwort nicht — wie um alles in der Welt sollte
er
sie wissen, wenn
sie
sie nicht wußte? —, aber er versuchte trotzdem für einen Moment, eine Erklärung zu finden;
    Worte, die dem Anblick der leeren, geschleiften Stadt etwas von ihrem entsetzlichen Schrecken nehmen würden.
    Es gelang ihm nicht. Die Verheerung war total. Die zyklopische Mauer, in deren Schatten Kiina und er noch immer standen, war unversehrt geblieben, aber das, was sich vor ihnen erstreckte, war ein Schlachtfeld, die Reste einer Stadt, die ihren Bewohnern zum Grab geworden war. Die von Gewalten zermalmt worden war, die sich Skar weder vorstellen konnte noch wollte. Was von den Häusern und Palästen Elays noch stand, das waren ausgebrannte Ruinen, den geschwärzten Skeletten großer gepanzerter Tiere gleich, zwischen denen es hier und da noch immer brannte, unbeschadet des unablässig strömenden Regens. Die Straßen waren voller Schutt und verkohlter Trümmer, und über allem lag Staub, den der Regen zu einer schwarzen schmierigen Schicht gemacht hatte.
    Und überall lagen Tote — verkrümmte Gestalten in den schmucklosen grauen Mänteln der
Errish,
Dienstboten, Krieger, Männer, Frauen, Kinder... der Tod hatte keinen Unterschied gemacht, wo und bei wem er zuschlug.
    »Der
Wächter?«
flüsterte Kiina.
    Skars Antwort bestand abermals nur aus einem Achselzucken, obwohl er diesmal wußte, daß Kiina sich täuschte. Sie alle hatten die entsetzliche Verwüstung gesehen, die die
Sternenkreatur
hinterließ, aber was Elay zerstört hatte, war eine Gewalt gänzlich anderer Natur gewesen. Er hatte zwei der Leichname flüchtig untersucht, auf die sie gleich beim Betreten der Stadt gestoßen waren.
    Sie wiesen keine Verletzungen auf, aber der Tod hatte einen Ausdruck unermeßlicher Qual auf ihren Gesichtern hinterlassen. Sie hatten sich gefragt, wieso sie weder auf
Errish
noch auf Drachen gestoßen waren, auf dem Weg hierher. Jetzt wußten sie es.
    »Wir sollten zurückgehen«, sagte Skar leise; fast im Flüsterton.
    Es war beinahe, als hätte er Angst, die Geister dieser Stadt zu wek-ken, wenn er zu laut sprach.
    »Zurück?« Kiina schüttelte den Kopf, sah ihn aber nicht an. Ihr Blick irrte verzweifelt über das, was einmal ihre Heimat gewesen war, und Skar spürte überdeutlich, mit welchem fassungslosen Entsetzen sie der Anblick erfüllte. Trotzdem war es ihr unmöglich, sich von ihm loszureißen. »Nein. Ich... ich muß wissen, was hier passiert ist.«
    Skar widersprach nicht. Natürlich waren Kiinas Worte unsinnig, und etwas sagte ihm darüber hinaus, daß es nicht gut war, tiefer in die zerstörte Stadt vorzudringen, als sie es bereits getan hatten. Obwohl sich nirgends zwischen den geschwärzten Ruinen auch nur eine Spur von Leben regte, spürte er die Gefahr, die noch immer hier lauerte. Was immer Elay
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