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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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mitgenommen.«
    Hauswalter. Meine Verzweiflung kehrt zurück und ich lasse mich schwer in die Kissen fallen. Hauswalter sind die Besitzer von Häusern. Sie kaufen Bräute von Sammlern, die durch die Straßen patrouillieren und nach idealen Kandidatinnen zum Kidnappen Ausschau halten. Die Gnädigen unter ihnen verkaufen den Ausschuss in die Prostitution, aber die, an die ich geraten bin, haben alle anderen in den Lastwagen getrieben und erschossen. Diesen ersten Gewehrschuss habe ich wieder und wieder in meinen Drogenträumen gehört.
    »Wie lange bin ich schon hier?«, frage ich.
    »Zwei Tage«, sagt der Junge.
    Er reicht mir eine dampfende Tasse und ich will schon ablehnen, da sehe ich das Fädchen des Teebeutels über dem Rand baumeln und rieche die Gewürze. Tee. Mein Bruder Rowan und ich haben ihn jeden Morgen zum Frühstück getrunken und jeden Abend zum Essen. Der Geruch ist wie Zuhause. Meine Mutter hat immer gesummt, wenn sie am Herd darauf wartete, dass das Wasser kocht.
    Benommen setze ich mich auf und nehme den Tee entgegen. Ich halte die Tasse dicht an mein Gesicht und atme den Dampf durch die Nase ein. Etwas anderes kann ich nicht tun, um nicht in Tränen auszubrechen. Der Junge muss spüren, dass das Ausmaß dessen, was mir widerfahren ist, mich jetzt mit voller Wucht trifft. Er muss spüren, dass ich kurz davor bin, etwas Dramatisches zu tun, wie weinen oder mich aus dem Fenster zu stürzen wie dieses Mädchen, denn er bewegt sich bereits Richtung
Tür. Leise, ohne sich umzuschauen, überlässt er mich meinem Schmerz. Aber statt Tränen bricht nur ein grässlicher Urschrei aus mir heraus, als ich mein Gesicht ins Kissen drücke. Nie hätte ich mich für fähig gehalten, so etwas hervorzubringen. Wut, wie ich sie bisher niemals empfunden habe.

Für Männer ist fünfundzwanzig das Sterbealter. Für Frauen zwanzig. Wir sterben wie die Fliegen.
    Vor siebzig Jahren hat die Wissenschaft die Kunst vollbracht, Kinder zu perfektionieren. Eine Epidemie, die unter dem Namen Krebs bekannt war – eine Krankheit, die jeden Teil des Körpers befallen konnte und früher Millionen von Leben gekostet hat –, konnte völlig geheilt werden. Die Verstärkung des Immunsystems von Kindern der neuen Generation löschte Allergien und jahreszeitlich bedingte Beschwerden aus und schützte sogar vor sexuell übertragbaren Viren. Mit Makeln behaftete natürliche Kinder wurden angesichts der Vorteile dieser neuen Technologie nicht mehr empfangen. Eine Generation perfekt veränderter Embryonen stellte eine erfolgreiche, gesunde Bevölkerung sicher. Die meisten dieser Generation sind noch am Leben und werden in Würde alt. Sie sind die furchtlose erste Generation, die praktisch unsterblich ist.
    Niemand hätte je die schrecklichen Folgen erahnen können, die diese robuste Generation von Kindern hatte. Während es der ersten Generation nach wie vor blendend geht, ist mit ihren Kindern und deren Kindeskindern etwas schiefgegangen. Wir, die neuen Generationen,
werden gesund und stark geboren, gesünder vielleicht als unsere Eltern, aber unser Leben endet für Männer mit fünfundzwanzig und für Frauen mit zwanzig. Seit fünfzig Jahren ist die Welt in Panik, weil ihre Kinder sterben. In wohlhabenderen Haushalten will man sich nicht geschlagen geben. Sammler verdienen sich ihren Lebensunterhalt damit, potenzielle Bräute zu fangen und an sie zu verkaufen, um neue Kinder zu züchten. Die Kinder aus diesen Ehen sind Experimente. Zumindest sagt mein Bruder das – und immer mit Abscheu in der Stimme. Es gab mal eine Zeit, da er mehr über das Virus wissen wollte, das uns tötet. Damals hat er unsere Eltern mit Fragen gelöchert, die niemand beantworten konnte. Aber der Tod unserer Eltern hat seine Neugier gebrochen. Mein rationaler Bruder, der einst davon träumte, die Welt zu retten, lacht jetzt jeden aus, der es versucht.
    Keiner von uns konnte jedoch mit Sicherheit sagen, was nach dem Einsammeln passiert.
    Jetzt sieht es so aus, als würde ich es herausfinden.
    Stundenlang laufe ich in diesem Spitzennachthemd im Schlafzimmer auf und ab. Der Raum ist komplett möbliert, so als hätte er auf meine Ankunft gewartet. Es gibt einen begehbaren Wandschrank voller Kleider, in dem ich mich allerdings nur so lange aufhalte, wie ich brauche, um nachzusehen, ob es dort eine Tür zum Dachboden gibt – im Wandschrank meiner Eltern ist eine, hier nicht. Das dunkle, polierte Holz der Kommode passt zum Frisiertisch und der Ottomane, an den
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