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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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den Türen vorbei, lausche auf Geräusche, auf Lebenszeichen. Aber das einzige Geräusch dringt aus einer Tür am Ende des Gangs, die nur angelehnt ist. Stöhnen und Keuchen.
    Ich bleibe wie erstarrt stehen. Wenn das der Hauswalter ist, der eine seiner Frauen zu schwängern versucht, dann würde es meine Lage verschlechtern, wenn ich dort hineinplatzte. Ich weiß nicht, was passieren würde. Wahrscheinlich würde man mich hinrichten oder auffordern mitzumachen, und ich kann nicht sagen, was schlimmer wäre.

    Nein, die Geräusche stammen ausschließlich von einer Frau und sie ist allein. Vorsichtig spähe ich durch den Türspalt, dann schiebe ich die Tür auf.
    »Wer ist da?«, murmelt die Frau, was einen ungeheuren Hustenanfall bei ihr auslöst.
    Ich betrete das Zimmer und stelle fest, dass sie allein in einem Satinbett liegt. Aber dieses Zimmer ist viel üppiger ausgestattet als meines. An den Wänden hängen Bilder von Kindern und vor einem offenen Fenster bauscht sich eine Gardine. Dieser Raum sieht aus wie einer, in dem gelebt wird. Er ist gemütlich und hat ganz und gar nichts von einem Gefängnis.
    Auf ihrem Nachttisch liegen Tabletten, stehen Fläschchen mit Pipetten, leere und fast leere Gläser mit farbigen Flüssigkeiten. Sie stützt sich auf die Ellenbogen und starrt mich an. Ihre Haare sind blond wie meine, aber ihre fahle Haut lässt sie matt wirken. Ihre Augen haben etwas Wildes. »Wer bist du?«
    »Rhine.« Ich nenne leise meinen Namen, denn ich bin zu verunsichert, um nicht ehrlich zu sein.
    »So ein wunderschöner Ort«, sagt sie. »Hast du die Bilder gesehen?«
    Vermutlich fantasiert sie, denn ich verstehe nicht, was sie meint. »Nein«, ist alles, was ich sagen kann.
    »Du hast mir meine Medizin nicht gebracht«, sagt sie und mit einem Seufzen sinkt sie anmutig in das Meer aus Kissen zurück.
    »Nein«, sage ich. »Soll ich sie holen?« Jetzt ist klar, dass sie fantasiert, und wenn ich einen Vorwand finde, kann ich vielleicht in mein Zimmer zurückgehen und sie vergisst, dass ich da gewesen bin.

    »Bleib«, sagt sie und klopft auf die Bettkante. »Ich bin diese Mittel so leid. Können sie mich nicht einfach sterben lassen?«
    Sieht so meine Zukunft als Braut aus? So eingesperrt zu sein, dass ich nicht einmal die Freiheit haben werde, zu sterben?
    Ich setze mich neben sie. Der Geruch nach Medizin und Verfall überflutet mich. Darunter liegt noch etwas Angenehmes, ein Potpourri – parfümierte getrocknete Blüten. Dieser angenehme Geruch ist überall, er umgibt uns und ich muss an zu Hause denken.
    »Du lügst«, sagt die Frau im Bett. »Du bist nicht gekommen, um mir meine Medizin zu bringen.«
    »Das habe ich auch nicht behauptet.«
    »Und, wer bist du dann?« Sie streckt die zitternde Hand aus und berührt mein blondes Haar. Eine Strähne hält sie zur genaueren Betrachtung hoch – und dann ist ihr Blick plötzlich von einem fürchterlichen Schmerz erfüllt. »Oh. Du bist der Ersatz für mich. Wie alt bist du?«
    »Sechzehn«, sage ich und bin schon wieder überraschend ehrlich. Ersatz? Ob sie eine der Ehefrauen des Hauswalters ist?
    Eine Weile starrt sie mich an und der Schmerz weicht langsam einem anderen Gefühl. Einem fast mütterlichen. »Hasst du das alles hier?«
    »Ja«, sage ich.
    »Dann solltest du die Veranda sehen.« Sie lächelt, als sie die Augen schließt. Ihre Hand rutscht von meinem Haar. Sie hustet und das Blut aus ihrem Mund spritzt auf mein Nachthemd.
    Ich habe Albträume gehabt, in denen ich ein Zimmer
betrete, in dem meine Eltern ermordet wurden und in einer frischen Blutlache liegen, und in diesen Albträumen bleibe ich ewig an der Türschwelle stehen, zu verängstigt zum Weglaufen. Jetzt empfinde ich ein ähnliches Entsetzen. Ich will weg, will sonst wo sein, nur nicht hier, aber meine Beine wollen sich nicht von der Stelle rühren. Ich kann nur zusehen, während sie hustet und kämpft und mein Nachthemd dabei immer röter wird. Ich spüre die Wärme ihres Blutes auf meinen Händen und meinem Gesicht.
    Wie lange das so geht, weiß ich nicht. Schließlich kommt jemand angerannt, eine ältere Frau, eine aus der ersten Generation. Sie hält ein Becken aus Metall, in dem seifiges Wasser schwappt.
    »Oh, Lady Rose, warum haben Sie nicht den Knopf gedrückt, wenn Sie Schmerzen haben?«, sagt die Frau mit dem Becken.
    Ich springe schnell auf, eile zur Tür, aber die Becken-Frau beachtet mich gar nicht. Sie hilft der hustenden Frau, sich aufzusetzen, schält sie aus dem
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