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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ist.
    Mein Wunsch geht in Erfüllung, doch es wird noch schlimmer. Deidre erscheint und sagt: »Verzeiht, Lady Rose, der Arzt ist hier, um Rhine für Hauswalter Linden vorzubereiten.«
    Ich werde wieder den Flur hinuntergeführt zu einem Fahrstuhl, für den man eine Schlüsselkarte braucht. Deidre steht neben mir, ihr Blick starr und besorgt.
    »Heute Abend wirst du Hausprinzipal Vaughn kennenlernen«, flüstert sie. Das Blut ist aus ihrem Gesicht gewichen, und sie sieht mich auf eine Art an, die mir wieder in Erinnerung ruft, dass sie noch ein Kind ist. Sie presst die Lippen aufeinander vor … was ist das wohl? Mitgefühl? Angst? Ich weiß es nicht. Die Fahrstuhltüren öffnen sich und sie ist wieder wie vorher. Sie führt mich einen weiteren, noch dunkleren, nach Desinfektionsmittel riechenden Flur entlang und durch eine andere Tür.

    Ich frage mich, ob sie auch diesmal Ratschläge für mich hat, aber sie bekommt nicht mehr die Gelegenheit, den Mund aufzumachen, denn schon sagt ein Mann: »Und welche ist das?«
    »Rhine, Sir«, sagt Deidre, ohne den Blick zu heben. »Die Sechzehnjährige.«
    Kurz frage ich mich, ob dieser Mann wohl der Hausprinzipal oder der Hauswalter ist, der mein Ehemann werden soll. Doch ich bekomme keine Gelegenheit, ihn mir anzusehen, da spüre ich schon einen stechenden Schmerz im Arm. Ich nehme nur noch auf, was direkt vor meinen Augen liegt: ein steriler, fensterloser Raum. Ein Bett mit einem Laken und Halterungen – für Arme und Beine vermutlich.
    Thematisch abgestimmt auf alles andere an diesem Ort füllt sich der Raum mit glänzenden Schmetterlingen. Sie zittern alle und dann zerplatzen sie wie die seltsamen Badeperlen. Überall hinterlassen sie Blut. Darauf folgt Schwärze.

Ich bin an der Reihe mit Wachehalten. Wir haben Türen und Fenster verriegelt und uns für die Nacht im Keller verbarrikadiert. In der Ecke summt der winzige Kühlschrank, die Uhr tickt, die Glühbirne baumelt an ihrem Kabel hin und her und das Licht flackert. Ich glaube, ich höre eine Ratte in den Schatten nach Futter suchen.
    Rowan schnarcht auf dem Feldbett, und das ist ungewöhnlich, denn das tut er sonst nie. Aber mich stört es nicht. Es ist schön, Geräusche eines anderen Menschen zu hören und zu wissen, dass ich nicht allein bin. Dass er innerhalb von einer Sekunde wach wäre, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gäbe. Als Zwillinge sind wir ein tolles Team. Er hat die Muskeln und mit dem Gewehr verfehlt er nie sein Ziel, ich hingegen bin kleiner und schneller und manchmal wachsamer.
    Wir hatten nur einmal einen bewaffneten Dieb, in dem Jahr, in dem ich dreizehn geworden bin. Meistens sind die Diebe kleine Kinder, die versuchen, die Fenster einzuschlagen und das Türschloss aufzubrechen. Sie bleiben nur so lange, bis sie festgestellt haben, dass es weder etwas zu essen gibt noch etwas, was sich lohnen würde zu stehlen. Sie sind lästig und eigentlich würde ich ihnen
am liebsten etwas zu essen geben, damit sie gleich wieder verschwinden. Wir haben reichlich. Aber Rowan erlaubt es nicht. Wenn man einen durchfüttert, muss man alle durchfüttern und uns gehört schließlich nicht die ganze verdammte Stadt, sagt er. Dafür sind die Waisenhäuser da. Dafür sind die Löhne der Labore da. Oder wie wäre es mit denen der ersten Generation?, sagt er immer. Wie wäre es, wenn die der ersten Generation was unternehmen würden? Schließlich sind die für das ganze Chaos verantwortlich.
    Der bewaffnete Dieb war ein Mann, mindestens doppelt so groß wie wir und bestimmt in den Zwanzigern. Irgendwie hatte er das Schloss an unserer Haustür geknackt, ohne ein Geräusch zu machen, und war ziemlich schnell darauf gekommen, dass die Bewohner unseres kleinen Hauses sich irgendwo versteckten und bewachten, was wert war, gestohlen zu werden. Rowan hielt zu der Zeit Wache, aber nach einem ganzen Tag körperlicher Arbeit war er eingeschlafen. Er nimmt Arbeit an, wo und wann immer er welche kriegen kann, und sie ist immer anstrengend. Am Ende des Tages tut ihm alles weh. Vor langer Zeit waren die Jobs in Amerikas Fabriken in andere industrialisierte Länder ausgelagert worden. Weil es jetzt keine Importe mehr gibt, wurden die meisten Hochhäuser von New York zu Fabriken umgebaut, die alles herstellen, von Tiefkühlessen bis Wellblech. Ich finde normalerweise Arbeit im Großhandel, wo ich telefonisch Bestellungen annehme, Rowan bekommt leicht Arbeit im Bereich Fracht und Auslieferung, und das strengt ihn mehr an, als er
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