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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz
Autoren: Veit Heinichen
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atmete flach. Unter seinem Schulterblatt breitete sich ein dunkler Blutfleck aus, der dem Gefälle des Bodens folgte und bald den Bug des Waggons erreicht haben würde, wenn nicht jemand etwas unternahm.
    »Legt die Waffen auf den Boden«, sagte die grauhaarige Alte.
    Tatjana Drakič traute ihren Ohren nicht, als sie die Männerstimme vernahm, und erblaßte. Unmöglich! Sie mußte sich getäuscht haben. Und wieder sprach die Alte, und diesmal war sie sich sicher.
    »Einer nach dem anderen. Keine Dummheiten, sonst geht’s euch wie dem da.«
    Nur Tatjana Drakič machte einen Schritt nach vorne, doch dann versagte ihr der Mut, sich trotz der Pistole ihrem Bruder zu nähern.
    »Sgubin, übernimm!« Laurenti warf einen Blick auf die Blondine. »Machen wir dem Spiel ein Ende.« Er nahm langsam die Sonnenbrille ab und zog dann die Perücke vom Kopf. Die kleine Inspektorin tat es ihm nach. Ihr Kinn war schmutzig und geschwollen.
    »Tatjana Drakič alias Exkonsulin Petra Piskera«, sagte Laurenti. »Sie haben zu hoch gepokert. Schon König Midas ist an seiner Habgier gescheitert, und auch für Sie ist Schluß.«
    Tatjana warf sich mit gefesselten Händen zu Boden und kroch zu ihrem Bruder. Ihr schwarzes Haar bedeckte seine Augen, als er sein Leben aushauchte.
    Proteo Laurenti gab seinem Hund einen kurzen Befehl und leinte ihn wieder an, er rief den Tramfahrer zu sich, der die ganze Zeit wie versteinert auf seinem Platz sitzen geblieben war und sich wie in Zeitlupe erhob. Laurenti stützte sich auf seinen Arm, dann stieg er über Tatjana Drakič hinweg, die immer lauter schluchzte. Er schenkte ihr keinen Blick und ging mit dem blassen, sprachlosen Angestellten der Verkehrsbetriebe langsam hinunter bis zu Galvanos Volvo. Er legte den Trench ab und reichte ihn dem Alten.
    »Danke«, sagte Laurenti. »Du mußt ihn stopfen lassen. Und ein neues Auto brauchst du auch. Wenn wir Ezio, den Schrotthändler, nicht eingebuchtet hätten, könnte er ihn richten. Entschuldige, der Hund braucht etwas Bewegung, ich bringe ihn dir später zurück.«
    Marietta wollte ihn stützen, denn Laurenti kämpfte heftig mit dem Gleichgewicht, doch er ging einfach weiter, an allen vorbei, überquerte die Via Romagna und stieg auf der anderen Seite die Treppen neben den Gleisen hinab, die in die Stadt führten. Der schwarze Köter leckte ihm freudig die Hand. Sie sahen aus wie ein betrunkenes Paar, das angestrengt versuchte, sich auf den Beinen zu halten. Und der Hund hinkte wie sein Herrchen. Galvano schaute ihnen kopfschüttelnd nach. So lange hatte er sich noch nie eines Kommentars enthalten. Der aufkommende Wind schob eine schwarze Wolkenwand übers Meer auf die Stadt zu.

Nach dem Regen

    Frank Zappas Gesang drang durch das offene Fenster von Serses Palazzo auf die Straße hinaus. Laurenti mußte lange klingeln, bis der Maler endlich öffnete. Er erblaßte, als er Laurenti sah.
    »Ich dachte«, stammelte er, »du seist im Himmel.«
    »Ich weiß, daß du dich nun liebevoll um Laura kümmern wirst. Dafür wollte ich dir danken, mein Freund, und mich von dir verabschieden.«
    Serse kannte die Ironie des Kommissars gut. »Also, bist du deswegen nochmals aus dem Reich der Finsternis zurückgekehrt und führst den schwarzen Teufel, der dich holen soll, an der Leine mit?«
    »Der dritte Schöpfungsfehler war die Auferstehung, mein Lieber«, raunzte Laurenti, »denn damit war mit dem Ausschlafen Schluß.«
    »Weshalb liegst du nicht im Sarg?«
    »Sie müßten mich noch töter töten.«
    »Wo kommst du her?«
    »A Streetcar named Desire. Un tram che si chiama desiderio. Endstation Sehnsucht. Wenn du schon meiner Frau den Hof machst, könntest du mir zumindest ein Glas Wein anbieten.«
    »Und warum hinkst du und gehst so gekrümmt? Hat es dich also doch erwischt?«
    »Ganz im Gegenteil. Ich habe selbst einen Mann erschossen. Damit muß ich fertig werden.«
    Eine Stunde und eine Flasche Wein später wählte Laurenti auf dem Mobiltelefon, das die ganze Zeit so pausenlos wie erfolglos geklingelt hatte, die Nummer von Omar, Triests berühmtestem Taxifahrer, und bestellte ihn zum letzten Haus in der Via Virgilio. Er bat ihn vorher noch eine kleine Besorgung zu machen. Erste dicke Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben.
    *
    »Wo kommst du denn her?« fragte Laura empört, als sie die Tür öffnete und auf einen riesigen Blumenstrauß schaute, hinter dem Laurenti sich versteckte. Sie hatte bereits auf ihren Mann gewartet, denn Serse hatte sie angerufen,
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