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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz
Autoren: Veit Heinichen
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kann’s kaum erwarten, daß denen endlich einmal eine Möwe auf den Helm scheißt«, sagte Galvano und bog an der Piazza Goldoni gegen die Fahrtrichtung auf die Busspur ein.
    »Übertreiben Sie nicht, auch wenn wir ein Blaulicht haben«, sagte Pina und warf einen Blick auf ihre Uhr. »Wir liegen gut in der Zeit.«
    Sie mußten nach Opicina hinauf, wo Sgubin, Marietta und ihr Chef im Hotel »Valeria« auf sie warteten. Das Haus wurde von Freunden geführt und war für ihre Zwecke der ideale Treffpunkt. Die Inhaber stellten keine Fragen, als Galvano, Pina mit der blonden Perücke und die verstörte Schwarzhaarige mit dem Hut und dem viel zu großen Trenchcoat eintraten, und nannten lediglich Stockwerk und Zimmernummer. Als die drei jedoch außer Hörweite waren, konnten sie sich der Kommentare nicht enthalten. Der Karneval von Opicina war jedes Jahr eine fröhliche und gutbesuchte Veranstaltung, doch fing er dieses Jahr wohl schon im September an. Wenige Minuten später kam der braungebrannte, athletische Mann herunter, der erst kurz vor Mittag eingecheckt hatte, und verlangte die Rechnung. Er lächelte nicht, als sie ihn fragten, ob er unzufrieden sei und deshalb schon wieder abreisen wollte, er lehnte selbst das Glas Wein ab, das die Wirte ihm offerierten, als er bezahlte. Grußlos ging er hinaus und stieg in den Wagen, dessen Schlag sein Fahrer hinter ihm schloß.
    Sie hatten noch eine Stunde, bevor es zum Showdown ging. Tatjana Drakič saß gefesselt und wie gelähmt in der Ecke und versuchte erfolglos, aus dem Gespräch der anderen Schlüsse zu ziehen. Man hatte ihr den Mantel abgenommen und aus dem Zimmer gebracht, aber ihr Hut und Sonnenbrille gelassen. Pina hatte ihre blonde Perücke abgestreift und verließ mehrfach das Zimmer, während der Alte Tatjana nicht aus den Augen ließ. Sie hörte Stimmen im Flur, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Die Zeit wollte nicht vergehen. Warten ist schrecklich, wenn man nicht weiß, worauf. Irgendwann kam endlich Bewegung in die Gruppe. Der mürrische Alte streifte Lederhandschuhe über, als sollte er das Steuer eines Jaguar-Cabriolets übernehmen, setzte eine Sherlock-Holmes-Mütze auf, die ihm sicher eine Nummer zu klein war und den Helmen der Stadtpolizisten glich, sowie eine riesige Persol-Sonnenbrille aus den Fünfzigern. Pina hingegen stülpte wieder die Perücke über, stellte sich vor den Spiegel und zog mit Tatjanas Lippenstift ungeschickt ihre Lippen in Kirschrot nach. Wie man sich richtig schminkt, hatte die kleine Bestie offensichtlich nie gelernt. Und die Sonnenbrille, die sie sich schließlich aufsetzte, bevor sie ihre Pistole prüfte, war auch nicht der letzte Schrei. Tatjana kam sich vor wie beim Faschingsball im Irrenhaus.
    Als sie endlich das Zimmer verließen, sah sie am Ende des Flurs zwei Frauen und einen Motorradfahrer, dessen Lederkluft voller bunter Aufnäher von Zigarettenmarken und Kraftstoffherstellern war, langsam die Treppe hinuntergehen. Eine der Frauen war schäbig wie eine Pennerin gekleidet, die andere wie eine billige Nutte im viel zu kurzen Rock. Der Trench der grauhaarigen Alten jedoch kam ihr bekannt vor. Und sie hinkte, wie der schwarze Hund an ihrer Seite. Pina befahl, einen Moment im Flur zu warten. Offensichtlich wollte sie diesen Leuten nicht begegnen.
    *
    »Mamma! Papà ist weg.« Marcos Stimme überschlug sich.
    »Was hast du gesagt?« fragte Laura ungläubig.
    »Er ist weg. Das Zimmer ist leer. Das Bett ist kalt.«
    »Was heißt, sein Bett ist kalt? Galvano hat vor zwei Stunden angerufen und gesagt, er habe ein Schlafmittel bekommen. Er wird bei einer Untersuchung sein.« Laura schaute auf die Uhr. Es war kurz vor fünf. »Was machst du jetzt schon dort?«
    »Ich wollte ihm das Abendessen bringen. Später kann ich nicht. Heute hat meine Chefin Geburtstag und erwartet eine Menge Gäste. Also bin ich früher hoch.« Er stand vor dem leeren Krankenbett und zitterte vor Aufregung.
    »Hast du die Stationsschwester gefragt?«
    »Noch nicht.«
    »Und was sagen die Wachen?«
    »Ich wollte zuerst dich fragen. Ich dachte, du wüßtest Bescheid.«
    »Er kommt bestimmt gleich zurück«, sagte Laura. »Frag die vor der Tür.«
    Im Polyklinikum von Cattinara brach pure Hektik aus. Vor dem Haupteingang fragten sich die Leute, weshalb es vor Einsatzwagen wimmelte, deren flackernde Blaulichter von den Scheiben der Krankenhaustürme reflektiert wurden, hinter denen neugierig herabstarrende Patienten zu sehen waren. Sogar ein paar
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