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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz
Autoren: Veit Heinichen
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immer gefragt, wie sie es anstellten, nicht ständig all den anderen über den Weg zu laufen, doch mit der längst problemlos zu überschreitenden Grenze hatten sich auch ihre Ziele verstreut. So hatte er arglos in Koper ein Hotelzimmer bestellt, doch Živa bestand darauf, im Caffè »Loggia« unter den alten Arkaden einen Apéritif zu nehmen. Offenbar wollte sie nichts von trauter Zweisamkeit wissen. Seinen Fragen wich sie aus und erzählte von einem aktuellen Fall, der sie angeblich sehr in Atem hielt. Es handelte sich um den Bankrott der Ferienresidenz »Skipper« hoch über den Salinen von Sečovlje. Vor Jahren bereits hatte dort eine Allianz aus Angehörigen exponierter Saubermänner der scharfmacherischen Lega Nord, Kärntner Hochfinanz und alter kroatischer Nomenklatura mitten im Naturschutzgebiet und mit unverbaubarem Blick auf den Golf von Piran einen enormen Betonkomplex in Angriff genommen, von dem gemunkelt wurde, er solle unter dem Spitznamen »Il Paradiso di Bossi« zur Feriensiedlung der Internationalen der Fremdenfeinde werden. Inzwischen ermittelten die Staatsanwälte wegen betrügerischen Bankrotts, bei dem vor allem Anhänger der Lega Nord über den Tisch gezogen worden waren. Bei Staatsanwältin Živa Ravno liefen die Ermittlungen bezüglich verdächtiger Schmiergeldzahlungen zur Erlangung der Baugenehmigung zusammen, während ein italienischer Kollege in Sachen versteckter Parteifinanzierung tätig war. Und Živa hatte ihm noch von einem anderen Verdacht berichtet. Ein Erzfeind Laurentis war vermutlich in die Sache verstrickt, der sich inzwischen gesellschaftlich etabliert hatte und in den höchsten Kreisen verkehrte. Auch wenn es sich um die üblichen alten Bekannten drehte, die ihm oft genug Probleme machten, hatte Laurenti seiner Geliebten nur mit einem halben Ohr zugehört.
    Er vernahm Motorengeräusche, und kurz darauf stieg eine Frau in seinem Alter mit einem mächtigen Schlüsselbund in der Hand aus einem klapprigen roten Renault4 und begrüßte ihn. Wenn Živa nicht kam, dann wollte Laurenti sich das Kirchlein rasch alleine ansehen und schließlich, ohne sie anzurufen, verärgert nach Triest zurückfahren. Das hätte sie dann davon. Er ahnte nicht, daß seine Besichtigung länger dauern würde, als er von draußen vermutete. So klein die Ausmaße des romanischen Gemäuers waren, um so prächtiger waren dafür die Fresken. Er traute seinen Augen kaum. Kein Quadratzentimeter, der nicht bemalt war. Die Angst vor der Leere mußte im Mittelalter noch extremer gewesen sein. Aufmerksam hörte er der Frau zu, die ganz allein für ihn ihr Wissen heraussprudelte und ihn auf die vielen Details aufmerksam machte, die das Mittelschiff mit dem Tonnengewölbe sowie die beiden engen Seitenschiffe zierten: Altes und Neues Testament, Schöpfungsgeschichte und Passion, die Vertreibung aus dem Paradies, Kain und Abel und zwei frühe Stilleben, Tische mit Brot, Käse und Wein, Teller, Flasche und Krug. »Damals waren die Menschen mehr am Überirdischen interessiert als an der Wirklichkeit. Deshalb gab es dieses Genre vorher nicht«, sagte die Dame, als er einen Windstoß im Rücken fühlte, den das Knarren der Kirchentür begleitete. Die Führerin lenkte seinen Blick auf die dünnen Scheidewände zwischen den Apsiden und zeigte ihm die als Diakone dargestellten Heiligen Stephan und Laurentius. Er mußte lächeln, als er seinen Nachnamen hörte, und spürte im gleichen Moment eine regennasse Hand in der seinen und kurz darauf Živas warmen Atem an seinem Ohr.
    »Entschuldige«, flüsterte sie, »ein Unfall auf der Autobahn.«
    Die Führerin ließ sich nicht von ihr unterbrechen und ging zu einem Fresko im Südschiff hinüber. »Eine Besonderheit in der christlichen Ikonographie und ganz sicher das Motiv für die meisten Touristen, zu uns zu kommen, ist der Totentanz. Sehen Sie genau hin, der Grundgedanke ist die Gleichheit aller Menschen vor dem Tode, der als einziger gegen alle gerecht ist und dem niemand entfliehen kann. Alle müssen ihm folgen, allen grinst er gleichermaßen unverschämt ins Gesicht, während er sie zur frisch ausgehobenen Grube führt. Er duldet keine Ausnahme. Sehen Sie: Papst, König, Königin, Kardinal, Bischof, armes Mönchlein, reicher Kaufmann, hinfälliger Bettler, Kind. Er läßt sich von niemandem bestechen, auch wenn, wie Sie sehen, alle es versuchen, jeder auf seine Art.«
    Laurenti legte seinen Arm um Živas Schulter und schmiegte sich an sie. Die Führerin lenkte über zu der
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