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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz
Autoren: Veit Heinichen
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Darstellung der Monate in den Deckengewölben. »Du hast recht gehabt«, flüsterte er, »höchste Zeit, daß mir dies jemand zeigt.«
    »Und hier, die Inschrift in glagolitisch, dem kirchenslawischen Alphabet, die Gott sei Dank erhalten geblieben ist: ›Bemalung abgeschlossen am 13.7.1490 – Meister Johannes aus Kastar.‹ Ein Künstler aus der Nähe von Rijeka. Die Fresken wurden irgendwann übertüncht und erst Jahrhunderte später, 1949, wiederentdeckt und freigelegt.«
    Laurenti bedankte sich und kaufte noch ein paar Postkarten, auf denen die Kunstwerke abgebildet waren – er mußte sie unbedingt seiner Frau zeigen und sie demnächst selbst zu diesem wunderbaren Ort bringen. Als sie aus dem Kirchlein traten, hatten die Gewitterwolken sich verzogen, und zarter Sonnenschein lag über der üppig grünen Landschaft.
    »Gehen wir in das Gasthaus dort unten?« fragte Laurenti.
    Živa nickte und hakte sich bei ihm ein. »Sie ist wunderbar, diese Kirche. Spätgotische istrische Malerei in einem Bauwerk, das vermutlich dreihundert Jahre älter ist. Die Wehrmauer wurde erst später gegen die Türkenbelagerungen errichtet.«
    »Besonders tragisch ist der erste Schöpfungsfehler, die Vertreibung aus dem Paradies.« Laurenti faßte sie an den Schultern. »Ein grausamer Gott. Damit begann der Fluch der Arbeit.«
    »Und der Totentanz, der Versuch, dem Tod das Leben abzukaufen? Das erinnert allzusehr an unsere Klientel«, sagte Živa.
    Er hielt ihr die Tür zur Gostilna »Švab« auf. Ein niedriger langer Raum, der im vorderen Teil vom Tresen dominiert wurde, an den sich der Speisesaal anschloß. Unter der Woche war das Lokal über Mittag kaum frequentiert. Zwei Bauern, die ein Glas Wein an der Theke tranken, waren außer ihnen die einzigen Gäste. Die Speisekarte verzeichnete die üblichen deftigen Gerichte der istrischen Küche, die vom rohen Schinken der hauseigenen Schweine und dicker Maissuppe über des Bauern Lieblingshuhn bis zum Kalbsbraten reicht. Laurenti atmete auf, als er die frische Forelle entdeckte. Alles andere wäre ihm zu schwer gewesen, denn die reservierte Art Živas, die lediglich Gemüse vom Grill und als Hauptgang gedämpfte Brennesseln bestellte, verschloß ihm den Magen. Und ganz gegen ihre Art begnügten sie sich mit einem halben Liter Malvasia vom Faß.
    »Du hast dich verdammt rar gemacht«, sagte Laurenti und legte sein Kinn in die Hände, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. »Du fehlst mir sehr, wenn du so unerreichbar bist. Kaum Telefonate, meist bin ich es, der dich anruft, während du dich nur noch meldest, wenn es sich um Fachliches handelt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß du mich gar nicht mehr liebst.«
    Und wie so oft fühlte er sich im Nachteil, als der Wirt den Wein brachte und Živa damit eine direkte Antwort ersparte. Sie wartete, bis sie wieder alleine waren. Sie lächelte ihn milde an, fast mitleidig, und nahm einen kleinen Schluck von ihrem Glas, ohne Proteo zuzuprosten.
    Als Laurenti nun schwieg, faßte sie seine Hand und schaute ihm in die Augen. »Das Leben geht weiter, mein Lieber. Es verändert sich jeden Tag. Wir leben in einer Zeit der unaufhaltbaren Beschleunigung. Nichts ist morgen mehr so wie heute. Die Arbeit wird von Minute zu Minute mehr, atemlos haschen wir nach Ruhe, die nur noch als Ahnung existiert, wie die Erinnerung an den Duft von frischem Heu, den wir aus der Kindheit kennen. Unsere Kunden sind innovativ und mit einem Tatendrang erfüllt, der dem Rest der Gesellschaft fehlt. Es lärmt überall, die Telefone stehen nicht mehr still, und selbst die Schreibtische scheinen zu stöhnen unter der Last der Aktenberge, die täglich auf ihnen gelagert werden. Du hast keine Vorstellung, vor welche organisatorischen Probleme mich allein unser Treffen gestellt hat. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht, Proteo.«
    Wieder wurden sie unterbrochen, diesmal brachte der Wirt das Gedeck.
    »Was man an Zeit gewinnt, geht an Bewußtsein verloren, Živa.«
    »Von wem ist der Satz?«
    Laurenti druckste herum. Er war wirklich nicht seine Erfindung. »Ein französischer Autor, längst tot. Stand auf einem Kalender.«
    »Ändere es, wenn du kannst«, sagte sie nur.
    Er schnaubte durch die Nase. »Im November werden es vier Jahre, falls wir es tatsächlich bis dahin schaffen.«
    »Vier Jahre was?« Živas Stimme klang nicht mehr sanft, eher so, als ginge ihr seine sentimentale Klage auf die Nerven.
    Diesmal kam die Unterbrechung zu Laurentis Vorteil. Von der Küche her
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