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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt
Autoren: Brian Hodge
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Clarisse die Anforderungen nie begreifen, die man an sie stellen würde, wenn sie an diesem Abend seine Begleiterin wäre. In einem Abendkleid wäre ihre Schönheit zwar unbestreitbar vorhanden, sie wäre sehr begehrenswert, eine gute Trophäe, aber inmitten der feinen Gesellschaft und der sorgsam geführten Unterhaltungen, die wie Drehbücher abgearbeitet wurden, wäre sie hoffnungslos verloren.
    Und dann war da noch ihre Hautfarbe. Scheidung war eine Angelegenheit, die durchaus akzeptiert wurde, das war jedoch eine ganz andere. Er würde den spitzen Zungen gar nicht erst einen Grund zum Lästern geben.
    »Eins kann ich dir garantieren«, meinte er. »Es gibt nichts Langweiligeres als ein solches Bankett. Ich tue dir einen Gefallen, und du merkst es nicht einmal.«
    Clarisse kniete sich auf die Matratze. »Ich bin mir nicht so sicher, ob es langweiliger ist als ein Tag hier. Ein Tag, jeder Tag.« Sie griff mit schwerer Hand nach einem Glas auf dem Nachttisch und schluckte den Rest des Inhalts hinunter. »Ich kann mich hier mit niemandem unterhalten, habe nichts zu tun, kann nirgendwo hin …«
    Er seufzte. Ah, wie schnell sie doch lernten, alles als gegeben hinzunehmen, was ihnen noch Wochen zuvor wie der siebte Himmel vorgekommen war. Das war wohl die Natur des Menschen, die für Zufriedenheit keine Obergrenze kannte.
    Er wusste, dass er da ganz anders war. Ihm war schon klar gewesen, wie sehr er diese Haitianer vermissen würde, bevor er ihr Verschwinden auch nur vorausahnen konnte. Das waren undankbare Jammerlappen, jeder Einzelne von ihnen, aber was konnte ein Mann schon tun? In seinem Alter schluckte man den Verlust herunter und machte weiter, und man betete, dass sie einem keine weiteren Probleme bescheren würden.
    Er hatte versucht, einige von denen, die auf den Zuckerrohrfeldern arbeiteten, ins Haus zu holen. Haltet es sauber, kocht das Essen, macht die Wäsche. Mit der Zeit funktionierte es, da diese Leute die entsprechende Motivation hatten; das war immer dann besonders offensichtlich, wenn sie ihn ansahen. Und wenn sie Clarisse nicht länger als eine der ihren, sondern als Verräterin betrachteten, dann war das vielleicht auch besser so. Er konnte jeden Tag beruhigt ins Büro fahren und musste sich keine Sorgen machen, dass sich Clarisse einen von ihnen ins Bett holte, um die langen Nachmittage auszufüllen.
    Solche Überraschungen waren nie gut für eine Beziehung.
    Evelyn – sie war letzten Endes eine Frau voller Überraschungen gewesen.
    Er stellte fest, dass er sie bei Weitem nicht so sehr vermisste, wie er befürchtet hatte. Ihn plagte weniger das Ende ihrer Liebe und Hingabe, ihm fehlten die stillen Momente am Morgen oder am Abend, wenn er mit ihr über ein Problem oder eine Entscheidung sprechen konnte; er hatte erkannt, dass Clarisse nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon er überhaupt sprach. Evelyn konnte die Dinge immer in einem neuen Licht darstellen – oder zumindest so tun –, aber im Nachhinein fragte er sich doch, wie klar ihr Verstand gewesen war …
    Aal? Sie hatte sich mit Aal abgegeben? Das tat weh. Natürlich fühlte er sich verraten, aber er konnte ihr Verlangen, sich einen Liebhaber zu nehmen, nachträglich verstehen. Wie du mir, so ich dir, gewissermaßen zumindest. Aber Aal! Sie hätte zumindest einen besseren Geschmack an den Tag legen können; das war alles so unglaublich … enttäuschend.
    Er stand an der Schlafzimmertür. »Leistest du mir Gesellschaft, während ich auf den Wagen warte?«
    Clarisse winkte ihm vom Bett aus zu, schnaufte und warf ihr Haar nach hinten. »Wozu? Damit ich in der Tür stehen und dir hinterherwinken kann? Behandle mich nicht wie eine Frau, mit der du frisch verheiratet bist. Und erwarte nicht, dass ich mich wie eine benehme.«
    Ihre Hand vergrub sich in den Laken und kam mit einer Fernbedienung wieder hervor, mit der sie auf den Fernseher zielte. Sie ließ den Kanal eingeschaltet, auf dem der Fernseher anging. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und war davon gefesselt.
    Mach’s gut, Prinzessin. Mullavey ging nach unten.
    Schon bald musste er einige Regeln einführen, damit dieser Haushalt nicht völlig vor die Hunde ging. Das würde natürlich bedeuten, dass er ihn strenger führen musste, als er es bisher getan hatte, auch wenn er sich jetzt schon gewandelt hatte. Einen Großteil seiner Person sah er jetzt als neu, besser und stärker an … ein Mann, dessen Auftreten er mit dem barbarischen Schrei von Whitman begrüßte.
    Andere
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