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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt
Autoren: Brian Hodge
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sterben … und dann sind sowieso alle Fragen beantwortet.«
    Nathans Stimme klang wie die eines gebrochenen Mannes, der sich nun mit sehr wenig zufrieden gab. »Ich habe dich nie verstanden. Du warst mir schon immer ein Rätsel.«
    Aal wartete, bis das Vèvè vollendet war, bevor er ihn ansah, und als er es tat, war in seinem Gesicht kein Platz mehr für ein Lächeln. »Das überrascht mich nicht«, sagte er.
    Er zog sein Hemd aus, und das Kerzenlicht schimmerte orange auf seiner Haut, die sich straff über seinen Knochen spannte. Die Zeit war gekommen, und als er die wartenden Schalen mit Schießpulver entzündet hatte und sich der Humfo mit dem strengen Geruch von Schwefel füllte, empfingen die Götter des Petroreiches seinen Ruf …
    Und sie kamen.
     
    Er befand sich inmitten der Elite von New Orleans, den Machern, den Bewegern, jenen mit Macht … und es erschreckte ihn ein wenig, dass er sich derart problemlos unter sie mischen konnte; niemand von ihnen bemerkte, dass er gar nicht hierhergehörte. Vielleicht vermutete einer von dreißig etwas. Justin sprach ihre Sprache, auch wenn ein völlig anderes Leben unter seiner Oberfläche lauerte, und vielleicht gingen sie mit ihrem Cocktail in der Hand weiter und fragten sich, wer er eigentlich sei. Kesselflicker, Schneider, Soldat, Spion …
    Attentäter?
    Was für ein Gedanke.
    Er konnte das Instrument der göttlichen Vergeltung sein, dessen Natur einen Priester im Beichtstuhl wortlos zurückgelassen hatte, und im Geiste wusste er, dass seine Mission einer göttlichen Strafe glich. Obwohl er nicht länger an die Existenz eines göttlichen Wesens glaubte, so konnte er zumindest so tun und diese Sache mit dem Eifer eines Fanatikers bis zum blutigen Ende durchstehen.
    Die »Mann des Jahres«-Zeremonie der Direktorenallianz für eine bessere Zukunft wurde in der Banketthalle eines der größten Hotels der Stadt abgehalten. Das Commodore Lafitte war vom Parkplatz mit seinen rot befrackten Wächtern bis hin zum Pool auf dem Dach ein Hotel, das sich Justin nie im Leben würde leisten können. Es hockte wie ein Kronjuwel im Geschäftsbezirk der Stadt, an der Poydras Street, mit allem Wichtigen in Reichweite.
    Er traf ein, als gerade die Cocktails gereicht wurden, er kam mit einem Taxi aus einem weitaus bescheideneren Hotel; er wollte nicht mit seinem eigenen Wagen dort aufkreuzen, nicht an diesem Abend. Auf einen Mantel, den er an der Garderobe abgeben musste, hatte er ebenfalls verzichtet, denn falls er wider Erwarten entkommen sollte, würde er sowieso keine Zeit haben, ihn dort abzuholen.
    An der Tür der Banketthalle zeigte er eine simple, elegant gedruckte Einladung vor, und ihm wurde problemlos Einlass gewährt. Nun befand er sich unter Menschen, die derart von sich überzeugt waren, dass er sich fragte, was er überhaupt schon von der Welt gesehen hatte.
    An die Einladung war er durch einen gerissenen Schachzug gelangt, zu dem er Nan überredet hatte. Er hatte sie am Morgen nach dem abrupten Abbruch ihrer Rettungsversuche angerufen und sie davon überzeugt, die Direktorenallianz anzurufen. Sie spielte die Rolle einer Sekretärin, die sich erkundigen wollte, ob die Möglichkeit bestünde, dass ein Vertreter der Werbeagentur von Mullavey Foods an der Veranstaltung teilnehmen könne.
    »Warum willst du überhaupt da hingehen?«, hatte Nan gefragt. Sie hatte ihm bereitwillig vergeben. »Das klingt, als werde es eine todlangweilige Veranstaltung.«
    »Ich werde vielleicht umziehen. Ich kann hier nicht bleiben. Und New Orleans gefällt mir.« Jede Lüge kam ihm völlig mühelos über die Lippen, so war es schon immer gewesen. »Weißt du einen besseren Ort, an dem ich mich einschleimen und nach einem neuen Job suchen könnte?«
    Nan, seine Retterin, hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sehr er sie ausgenutzt hatte. Ein Teil von ihm hoffte, dass sie dieses naive Vertrauen niemals verlieren würde; ein anderer wünschte sich aber genau das. Vergib mir …
    Das Commodore Lafitte: Ein Streicherquartett erfüllte den Raum mit sanften Klängen, in dem sich etwa vierhundert Personen tummelten. Kellner mit Tabletts voller Champagnergläser und Hors d’œuvres gingen durch die Menge, während Barkeeper Mixgetränke ausgaben und aussahen, als könne man sich mit ihnen besser unterhalten als mit dem Großteil der Gäste.
    Justin war seit seiner ersten Vermählung nicht mehr so formell gekleidet gewesen; er hatte vergessen, wie gut ein Smoking saß und wie sehr man sich darin wie
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