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Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: J Sandford
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ein wenig Speichel, und er würde auf der Todesbahre enden, angeschnallt und mit einer Spritze im Arm …
    Ächzend und schnaufend schaffte er die Last nach unten, dann blickte er die Treppe hinauf. In zwei Minuten würde er die Leiche wieder hochtragen müssen. Aber er konnte ihn nicht oben töten, dazu wohnten hier zu viele Menschen. Jemand könnte den Schuss hören.

    Er zog Bowe unter das Licht, breitete die Plane aus, entblößte ihn. Er lag schlaff und hilflos auf dem Rücken. Sein Körper war totenbleich. An einigen Stellen waren Pickel und Verfärbungen, die Hautprobleme und kleinen Blessuren eines aus der Form gegangenen Mannes Mitte vierzig. Er sah Bowe einige Sekunden an, dann sagte er laut: »Es ist so weit. Allmächtiger.«
    Keine Reaktion. Bowe hatte eine Überdosis Rinolat genommen.
    Der Killer zog die 45er aus der Tasche, eine alte, abgenutzte Waffe, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gefertigt worden war. Er hatte sie auf einem Trödelmarkt gekauft. Ungenau bei jeder Distanz über eine Armlänge hinaus, was für die vor ihm liegende Aufgabe jedoch reichte.
    Er spannte den Hahn mit einer behandschuhten Hand, dann dachte er: Das Telefonbuch. Verdammt. Er lief die kurze Treppe hinauf, nahm das Telefonbuch vom Küchentisch, ging wieder hinunter und machte die Tür hinter sich zu. In dem Telefonbuch waren bereits zwei Einschusslöcher, Ergebnisse eines Tests, den er draußen in Virginia gemacht hatte. Er legte es dem nackten Mann auf die Brust.
    Er löste die Sicherung, sagte: »Linc« und dachte: Ohren … verdammt.
    Er sicherte die Waffe wieder, lief erneut die Treppe hinauf und holte die Ohrstöpsel. Sie waren aus zusammendrückbarem gelbem Schaumstoff, so groß wie Pistolenkugeln, eigens für Zielschützen hergestellt. Er drehte beide zwischen den Fingern, schob sie in seine Ohren und wartete, dass sie sich wieder ausdehnten. Wenn er die Waffe ohne Ohrenschutz in dem engen Keller abgefeuert hätte, hätte er eine Woche lang nichts hören können.
    Als er die Waffe erneut entsicherte, traten ihm Tränen in die Augen. Er wischte sie weg, richtete die Pistole auf den Punkt,
an dem das Telefonbuch über dem Herzen des nackten Mannes lag, sagte: »Lincoln« und zog den Abzug.
    Ohne die Stöpsel wäre der Lärm ohrenbetäubend gewesen, aber er war auch so schlimm genug. Der nackte Mann richtete sich auf, öffnete reflexartig die Augen, die milchig vor Benommenheit waren. Er starrte den Killer ein oder zwei Sekunden lang an, dann kippte er wieder zurück auf den Fußboden.
    »Heilige Scheiße«, sagte der Killer entsetzt. Einen Moment stand er wie erstarrt da, schockiert über die milchigen Augen, ein mögliches Aufblitzen von Intelligenz. Die Haare sträubten sich ihm im Nacken. Dann bückte er sich und hob das Telefonbuch auf. Die Kugel war durchgegangen, aus einem dunkelroten Loch in der Brust des nackten Mannes sprudelte Blut. Das Loch befand sich direkt über dem Herzen. Er ließ die Sicherung der Pistole einrasten, steckte die Waffe wieder in die Tasche und hockte sich hin.
    Der nackte Mann atmete nicht. Unter den halb offenen Lidern waren die Augen so weit nach oben verdreht, dass man nur das Weiße sehen konnte. Er presste einen seiner durch die Plastikhandschuhe geschützten Finger gegen den Hals des nackten Mannes und suchte nach dem Puls. Er fand keinen. Lincoln Bowe war tot.
    Er rollte Bowe so weit herum, dass er seinen Rücken anschauen konnte. Keine Austrittswunde. Das Telefonbuch hatte wie ein Zaubermittel gewirkt, die Kugel war in dem Toten stecken geblieben.
    Schweigend kniete der Killer da und betrachtete das Gesicht des Mannes auf dem Fußboden. So viele Jahre. Wer hätte je gedacht, dass es dazu kommen würde? Dann stand er seufzend auf, zog das Magazin aus der Pistole, drückte die Patrone aus der Kammer und schob diese wieder in das Magazin. Blickte zur Treppe.
    Nun kam der gefährliche Teil, das Wegbringen der Leiche.
Wenn ihn die Cops wegen irgendetwas anhielten, war er erledigt.
    Doch sie hatten alles genau geplant, und er hielt sich daran. Er hatte eine Menge zu tun. Immer noch das Gesicht des Toten betrachtend stand er da. Dann sagte er: »Komm, Linc. Gehen wir.«

2
    Jake fuhr zu Hause vorbei, zog Anzug und Krawatte an, dann nahm er ein Taxi zum Weißen Haus. Er ging durch den westlichen Mitarbeitereingang, erst durch das äußere Tor, wo ein Wachposten seinen Ausweis überprüfte, dann durch das innere Tor mit den Röntgenapparaten.
    Der Röntgentechniker, ein
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