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Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: J Sandford
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Kaffee und den Kiefernwänden der Blockhütte. Peyson Carter mit ihren blonden lockigen Haaren saß ihm gegenüber und suchte seinen Blick. Hielten sich alle attraktiven Frauen jemanden in Reserve?
    Jedes Frühjahr und jeden Herbst jagten sie zusammen wilde Virginia-Truthähne, vier Männer und die Frau eines Mannes. Sie waren routiniert. Jeder wusste, was er mitbringen sollte – Bögen, Stiefel, Tarnkleidung, Nudeln, Alkohol, Müllbeutel, Toilettenpapier, Zielscheiben -, und jeder wusste ungefähr, wo er oder sie Posten beziehen würde. Alle fünf waren Bogenschützen. Zusammen erlegten sie pro Saison im Durchschnitt zwei Truthähne. Truthähne waren schwer zu jagen.
    So kam es, dass er in der Düsternis auf der Gummimatte kniete und darauf wartete, dass sein Vogel sich bewegte. Mittlerweile war er ein wenig hungrig, doch das versuchte er zu ignorieren. Die vier Fuß im Quadrat große Matte erlaubte ihm, sein Gewicht ein wenig zu verlagern, was er wegen seines lahmen Beins häufiger tun musste. Durch das dichte Unterholz um ihn herum konnte er den Bogen spannen, ohne dass die Bewegung zu sehen war.
    Er hatte einen Semiweiss-Lighting-Compoundbogen mit niedrig eingestelltem Auszugsgewicht, um den Bogen sehr lange gespannt halten zu können, und benutzte Pfeile aus Karbonfasern mit Broadhead-Spitzen mit Widerhaken. In den Eichen hinter ihm hielt sich ein ansehnlicher Truthahn auf. Irgendwann würde der Hahn auf das Kornfeld kommen und mit einigem Glück einem Pfad entlang eines flachen Grabens unterhalb von ihm folgen. Er wusste, dass der Vogel das machte, weil er auf Erkundungstouren Spuren gesehen hatte.

    Was der Truthahn allerdings heute machen würde, wusste er nicht.
    Während er wartete, lauschte und versuchte, durch das Unterholz etwas zu erkennen, fielen die Probleme, mit denen er sich in der Arbeit herumschlagen musste, von ihm ab. Er hatte fast sein ganzes Leben lang gejagt, seit sein Großvater ihn das erste Mal mitgenommen hatte, als er sechs Jahre alt war. Er jagte Rotwild und Truthähne in Virginia, Elche und Antilopen im Westen. Wenn er jagte, versetzte er sich in eine Zen-Dimension und wurde Teil der Landschaft. Die Zeit verging nicht, sie hielt auch nicht an; sie existierte einfach nicht. Er löste sich von sich selbst und seinen alltäglichen Problemen.
    Er war seit dem Morgengrauen an dieser Stelle. Die Sonne ging auf, stieg höher, brach kurz durch die Wolkendecke und verschwand wieder. Ein leichter Wind kam auf, spielte mit den Eichenblättern, erstarb wieder; Eichhörnchen liefen über den Boden, lärmende Viecher; eine Meise landete auf einem Ast vor seiner Nase.
    Er sah alles, aber er sah nicht hin. Er wartete …
    Da klingelte sein Handy.
     
    »Ach … verdammt!«
    Der Lärm war betäubend, als würde man von einem Schneeball mitten ins Gesicht getroffen werden. Rasch kehrte er aus der Zen-Dimension in die Gegenwart zurück, ins Hier und Jetzt. Er zog einen Reißverschluss seiner Tarnjacke auf, griff in die Hemdtasche darunter und nahm das Handy heraus.
    »Ja.« Die Nummer dieses Telefons hatten nur Leute, mit denen er unbedingt reden musste.
    Eine Frauenstimme, ruhig und kultiviert. »Jake, hier ist Gina Press. Tut mir leid, dass ich dich störe. Ich hab gehört, du bist im Urlaub. Der Chef will dich sprechen.«
    »Wann?«

    »Heute. Wo bist du?«
    »Unten im Tal. Das dauert eine Weile.«
    »Es ist ziemlich dringend. Kann ich dich für Viertel vor fünf auf den Terminkalender setzen?«
    Er sah auf seine Uhr: ein Uhr. »Okay. Aber du könntest mir einen Hinweis geben.«
    »Madison Bowe.«
    »Ich komme.«
     
    Der Killer konnte das Gewicht der 45er Pistole in seiner Tasche spüren. Es lastete auf seinen Schultern, und vielleicht auf seiner Seele.
    Er schleppte Lincoln Bowe. Bowe war bleich, nackt, bewusstlos, praktisch nur noch ein Stück Fleisch. Der Killer hatte ihn in eine blaue Plastikplane gepackt, die er in einem Wal-Mart gekauft hatte, und kämpfte sich nun mit ihm im Licht einer einzelnen nackten Glühbirne die schmale Kellertreppe hinunter.
    Obwohl er ein kräftiger Mann war, hatte er große Mühe, während er gleichzeitig versuchte, ein zärtliches Gefühl für die fast zweihundert Pfund reglose Masse Mensch aufzubringen, die er da bewegte. Er trug einen blauen Overall, ebenfalls aus dem Wal-Mart und eigens für den Mord gekauft, ein Sweatshirt mit Kapuze, die er über den Kopf gezogen hatte, und Plastikhandschuhe. Er wusste alles über DNA, und das bereitete ihm Sorgen. Ein Haar,
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