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0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder

0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder

Titel: 0008 - Ich faßte den Eisenbahn-Mörder
Autoren: Delfried Kaufmann
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Der sogenannte Miami-Expreß, eine lange Schlange hellgrauer Luxuswagen aus Leichtmetall, verließ die Main Station von New York abends um achtzehn Uhr drei. Der Zug erreichte Philadelphia wenige Minuten vor zwanzig Uhr, war um zweiundzwanzig Uhr in Baltimore und eine Stunde später in Washington. Sobald der Expreß Washington verlassen hatte, suchten die meisten Fahrgäste ihre Schlafkabinen auf, denn die nächste Station war Banville, die erst um vier Uhr morgens erreicht wurde.
    Kabine Nummer sechsunddreißig war von Mr. Leonard Seemer, einem wohlhabenden Pelzhändler aus New York gemietet worden, der nach Atlanta zum Einkauf einheimischer Pelze wollte. Mr. Seemer hatte eine Aversion gegen Flugzeuge, seitdem er einmal gezwungen worden war, eine Bruchlandung mitzumachen, bei der die Passagiere mit Ach und Krach unbeschädigt davonkamen. Seit diesem Ereignis benutzte er für lange Geschäftsreisen wieder den Schienenweg.
    Leonard Seemer war ein Mann über fünfzig, ungefähr das, was man einen Lebemann und Salonlöwen nennt. Er trug ungewöhnlich teure Anzüge, aus deren Brusttasche immer der Zipfel eines weißseidenen Taschentuchs hervorschaute. Er pflegte seine silbergrauen Haare mit der Eitelkeit einer Frau. Bevor er in seine Kabine ging, gab er dem Steward den Auftrag, ihn um acht Uhr rechtzeitig zum Frühstück zu wecken.
    Mit der gewohnten Genauigkeit erfüllte der Mann den Auftrag. Er klopfte um acht Uhr an die Kabine sechsunddreißig und rief: »Guten Morgen, Sir! Sie wünschten geweckt zu werden. Es ist acht Uhr.« Dann ging er seinen übrigen Verrichtungen nach, kam aber eine Viertelstunde später wieder an Nummer sechsunddreißig vorbei und legte kurz sein Ohr an die Füllung, um zu lauschen, ob sein Weckruf vernommen worden sei. Da er nichts hörte, klopfte er noch einmal und sagte sein Sprüchlein, diesmal aber wartete er auf Antwort. Da niemand reagierte, versuchte er es noch mal. Er erhielt wieder keine Antwort, legte die Hand auf die Klinke, stellte fest, daß die Tür sich öffnen ließ, und öffnete sie einen Spalt, um nachzusehen, ob Mr. Seemer vielleicht schon zum Waschraum gegangen war, obwohl er selbst eben daher kam. — Im nächsten Augenblick rannte er durch den Wagengang und schrie lauthals: »Mord! Mord! Mord!«
    Natürlich gab es einen Auflauf, fast eine Panik, bis der Zugführer, ein besonnener Mann, die Ruhe wiederherstellte. Er benachrichtigte funktelegrafisch die Kriminalpolizei in Atlanta, verschloß die Tür von Nummer sechsunddreißig und stellte sich selbst davor.
    Als der Miami-Expreß in Atlanta einlief, wartete die Mordkommission bereits auf dem Bahnsteig. Der Zug wurde auf ein totes Gleis rangiert, und die Beamten machten sich an die Arbeit.
    Der Polizeiarzt stellte fest, daß Seemer zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens durch einen Revolverschuß in die Stirn aus nächster Nähe getötet worden war. Da niemand einen Schuß gehört hatte, mußte die Waffe mit einem Schalldämpfer versehen gewesen sein. Der Tote trug, als man ihn fand, einen Schlafanzug und lag auf dem Boden der Kabine. Der Täter hatte seine Sachen durchwühlt. Es fehlte die Brieftasche, in der sich immerhin über achttausend Dollar befunden hatten, wie eine Rückfrage in New York ergab. Es fehlten außerdem eine wertvolle Golduhr und ein zweikarätiger Brillantring, den Seemer am kleinen Finger zu tragen pflegte.
    Da es unmöglich erschien, den Zug, der eine Geschwindigkeit von achtzig bis neunzig Meilen fuhr, während der Fahrt zu verlassen, mußte sich der Mörder unter den Mitreisenden befinden oder unter den Leuten, die den Expreß während seines Aufenthaltes in Banville verlassen hatten. Die Kriminalpolizei von Atlanta hielt die Reisenden zehn Stunden lang fest, mußte sie dann allerdings entlassen, da auf niemanden ein ausreichender Verdacht fiel. Sie stellte durch Kontrolle der verkauften Fahrkarten fest, daß siebzehn Leute in Banville ausgestiegen waren, und machte sich auf die Suche nach diesen Leuten.
    Bis dahin wäre dieses Verbrechen im Miami-Expreß zwar ein Raubmord besonderer Art gewesen. Aber immerhin nicht der erste Fall in der Kriminalgeschichte der Staaten. Wenn nicht der Schlafwagenschaffner des Direktzuges New York - Chicago, des berühmten Zwölfstundenexpresses, der New York um sieben Uhr abends verließ und Chicago um sieben Uhr morgens erreichte, bei nur einem zweiminütigen Aufenthalt in Pittsburgh, wenn also nicht dieser Schaffner, übrigens ebenfalls ein Schwarzer, eine
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