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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich
Autoren: Tana French
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spätes, melancholisches Licht tauchte. Ich musste an ihr Zimmer in Whitethorn House denken, an das warme gemütliche Nest.
    Abby stellte die Tüten auf den Boden, zog den Mantel aus und hängte ihn an die Rückseite der Tür. Die Tüten hatten rote Striemen an ihren Handgelenken hinterlassen, wie von Handschellen. »Die Wohnung ist nicht so mies, wie du denkst«, sagte sie trotzig, aber es lag ein müder Unterton in ihrer Stimme. »Ich hab ein eigenes Badezimmer. Draußen auf dem Flur, aber was will man machen.«
    »Ich finde sie gar nicht mies«, sagte ich, was sogar in gewisser Weise stimmte, ich hatte schon schlechter gewohnt. »Ich hab bloß gedacht … ich dachte, ihr hättet Geld von der Versicherung bekommen oder so. Von dem Haus.«
    Abbys Mund nahm einen harten Zug an. »Wir waren nicht versichert«, sagte sie. »Wir haben immer gedacht, das Haus hat so lange gestanden, da stecken wir das Geld besser in die Renovierung. Schön blöd.« Sie zog etwas auf, das aussah wie ein Kleiderschrank, und es kamen eine kleine Spüle, ein Zweiplattenherd und ein paar Hängeschränke zum Vorschein. »Also haben wir verkauft. An Ned. Wir hatten keine andere Wahl. Er hat gewonnen – oder vielleicht auch Lexie oder ihr oder der Typ, der unser Haus abgefackelt hat, ich weiß es nicht. Jedenfalls hat jemand anderes gewonnen.«
    »Warum wohnst du dann hier«, fragte ich, »wenn es dir nicht gefällt?«
    Abby zuckte die Achseln. Sie stand mit dem Rücken zu mir, räumte Sachen in die Hängeschränke – gebackene Bohnen, Dosentomaten, eine Packung No-Name-Cornflakes. Ihre Schulterblätter, spitz unter dem dünnen grauen Pullover, sahen aus wie die eines Kindes. »Es war die erste Wohnung, die ich mir angeschaut hab. Ich brauchte eine Unterkunft. Nachdem ihr uns habt gehen lassen, haben die von der Opferbetreuung uns in so einer scheußlichen Pension in Summerhill untergebracht. Wir hatten kein Geld, wir hatten das meiste Bargeld in der Spardose – wie du ja weißt, klar –, und das ist alles mit verbrannt. Wir mussten um zehn Uhr morgens aus dem Haus sein und durften erst abends wieder rein, also hab ich die Zeit tagsüber in der Bibliothek verbracht und vor mich hin geglotzt, und nachts hab ich allein in meinem Zimmer gehockt – richtig geredet haben wir drei eigentlich nicht mehr … deshalb bin ich, so schnell ich konnte, da weg. Jetzt, wo wir verkauft haben, könnte ich mit meinem Anteil eine Eigentumswohnung anzahlen, aber dann bräuchte ich einen Job, um den Kredit abzuzahlen, und solange ich die Diss nicht fertig habe … Das Ganze kommt mir einfach zu kompliziert vor. Ich tu mich sauschwer, Entscheidungen zu treffen, in letzter Zeit. Wenn ich lange genug warte, geht das ganze Geld für die Miete drauf, und dann hat sich die Entscheidung von selbst erledigt.«
    »Bist du noch am Trinity?« Ich hätte am liebsten losgeschrien. Dieses verkrampfte, distanzierte Gespräch, wie auf dünnem Eis, wo ich doch mal zu ihrem Gesang getanzt hatte, wo wir auf meinem Bett gesessen und Schokolade gegessen und uns gegenseitig von unseren schlimmsten Kusserlebnissen erzählt hatten. Das hier war schon mehr, als ich hatte erwarten dürfen, und ich konnte es nicht durchstoßen, um zu ihr vorzudringen.
    »Ich hab die Sache angefangen. Da kann ich sie auch zu Ende bringen.«
    »Was ist mit Rafe und Justin?«
    Abby knallte die Schranktüren zu und fuhr sich mit den Händen durchs Haar, die Geste, die ich tausendmal gesehen hatte. »Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll«, sagte sie plötzlich. »Du fragst so was, und ein Teil von mir möchte dir alles haarklein erzählen, und ein Teil von mir möchte dich anschreien, weil du uns das alles angetan hast, wo wir doch eigentlich deine besten Freunde waren, und ein Teil von mir möchte dir sagen, das geht dich nichts an, Bulle, untersteh dich, auch nur ihre Namen in den Mund zu nehmen. Ich kann nicht … Ich weiß nicht, wie ich mit dir reden soll. Ich weiß nicht mal, wie ich dich ansehen soll. Was willst du?«
    Sie war ganz kurz davor, mich rauszuschmeißen. »Ich hab dir was mitgebracht«, sagte ich schnell und holte den Stoß Fotokopien aus meiner Umhängetasche. »Du weißt, dass Lexie nicht ihr richtiger Name war, nicht?«
    Abby verschränkte die Arme und beobachtete mich, argwöhnisch und ausdruckslos. »Einer von deinen Freunden hat es uns erzählt. Der Typ, der uns von Anfang an auf dem Kieker hatte. Stämmig, blonde Haare?«
    »Sam O’Neill«, sagte ich. Ich trug den Ring
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