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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich
Autoren: Tana French
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Undercovereinsatz, nicht von mir. »Das hat sie, Mr Corrigan«, sagte ich. »Auf ihre Art hat sie das.«
    »Vielleicht«, sagte er. »Hört sich jedenfalls so an. Ich wünschte bloß … « Irgendwo kreischte wieder der Vogel, ein langer, trostloser Warnschrei, der in der Ferne verklang. »Was ich sagen will, ich schätze, Sie haben recht: Dieser Bursche wollte sie nicht töten. Ich schätze, es musste irgendwann passieren, auf die eine oder andere Art. Sie war nicht geschaffen für diese Welt. Sie war vor ihr davongelaufen, seit sie neun war.«
    Maher kam ins Büro gepoltert, bellte mir irgendetwas zu, knallte ein großes Stück klebrig aussehenden Kuchen auf seinen Schreibtisch und fing an, es auszuweiden. Ich lauschte auf das statische Rauschen in meinem Ohr und dachte an die Pferdeherden, die in den wilden Weiten Amerikas oder Australiens frei herumlaufen, sich gegen Luchse oder Dingos wehren und von dem wenigen leben, was sie finden, eine goldene Masse unter der sengenden Sonne. Mein Jugendfreund Alan hatte mal einen Ferienjob auf einer Ranch in Wyoming gehabt. Er hatte zusehen können, wie die Wildpferde eingeritten wurden. Er hatte mir erzählt, dass immer mal wieder welche dabei waren, die sich partout nicht zähmen lassen wollten, die wild waren bis ins Mark. Diese Pferde wehrten sich gegen Zaumzeug und Zaun, bis sie irgendwann geschunden und blutüberströmt waren, bis sie sich die Beine zerschmetterten oder den Hals brachen, bis sie im Kampf um ihre Freiheit starben.

    Frank behielt recht: Am Ende ging alles für uns prima aus, zumindest wurde keiner gefeuert oder verhaftet, was vermutlich Franks Vorstellung von »prima« entspricht. Er bekam drei Urlaubstage gestrichen und kassierte einen Aktenvermerk, angeblich weil er die Kontrolle über seine Ermittlung verloren hatte – bei einem Fiasko dieser Größenordnung brauchte das DIA jemanden, der seinen Kopf hinhielt, und meinem Eindruck nach waren sie entzückt, dass es diesmal Franks Kopf war. Die Medien versuchten, das Thema Polizeibrutalität hochzujubeln, aber keiner wollte mit ihnen reden – ein Boulevardblatt schaffte es gerade mal, ein Foto von Rafe zu bringen, wie er einem Fotografen den Mittelfinger zeigte, der noch dazu moralisch korrekt grob gepixelt worden war, zum Schutz der Kinder. Ich absolvierte meine Pflichtsitzungen bei dem Psychologen, der selig war, mich wiederzusehen. Ich tischte ihm eine Reihe von harmlosen Traumasymptomen auf, ließ sie im Laufe einiger Wochen unter seiner kompetenten Lenkung wie durch Zauberhand verschwinden, wurde wieder diensttauglich geschrieben und verarbeitete die SOKO Spiegel auf meine Weise, für mich allein.
    Sobald wir wussten, wo die Postkarten aufgegeben worden waren, ließ sich leicht nachvollziehen, wo sie überall gewesen war. Es wäre eigentlich nicht nötig gewesen – alles, was sie getan hatte, ehe sie in unsere Zuständigkeit fiel, weil sie sich hatte umbringen lassen, war nicht unser Problem –, aber Frank tat es trotzdem. Er schickte mir die Akte kommentarlos mit dem Stempelvermerk Geschlossen ins Büro.
    In Sydney hatten sie sie nirgends orten können – sie machten lediglich einen Surfer ausfindig, der glaubte, sie am Manley Beach gesehen zu haben, als Eisverkäuferin, und er meinte, ihr Name sei Hazel gewesen, aber so unsicher und begriffsstutzig, wie er war, kam er als zuverlässiger Zeuge nicht in Frage –, doch in Neuseeland war sie Naomi Ballantine gewesen, die tüchtigste Empfangssekretärin, die ihre Zeitarbeitsfirma je vermittelt hatte, bis ein zufriedener Kunde sie bedrängte, fest bei ihm anzufangen. In San Francisco war sie ein Hippiemädchen namens Alanna Goldman, sie jobbte in einem Souvenirladen am Strand und saß häufig kiffend an irgendwelchen Lagerfeuern. Fotos von Freunden zeigten hüftlange Locken, die im Meerwind wehten, nackte Füße und Muschelhalsketten und braune Beine in abgeschnittenen Jeans. In Liverpool war sie Mags Mackenzie, eine hoffnungsvolle Hutdesignerin, die unter der Woche in einer hippen Cocktailbar kellnerte und am Wochenende ihre Hutkreationen auf einem Markt verkaufte. Auf dem Foto trug sie ein breitkrempiges Wirbelding aus rotem Samt mit einem Hauch alter Seide und Spitze über einem Ohr und lachte. Ihre Mitbewohnerinnen – eine Gruppe extrovertierter Partygirls, die alle in etwa das Gleiche machten, Mode, Backgroundgesang, irgendetwas, das sich »urbane Kunst« nannte – gaben an, sie habe zwei Wochen bevor sie sich abseilte einen Vertrag
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