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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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Kühlraum. Mark, der bei ihr einzog. Die Liebe, die die alte Villa plötzlich erfüllte. Alles war wie ein Traum, ein Märchen, das wahr wurde, es war wie in den Büchern, die Blum gelesen hatte, wie in den Geschichten, in die sie sich geflüchtet hatte. Es war das Glück der anderen gewesen, das sie am Leben erhalten hatte, die Sehnsucht danach. Das, woran sie nie wirklich geglaubt hatte, liegt jetzt neben ihr. Immer noch. Acht Jahre später seine Arme um ihre Hüften, sein Atem in ihrem Ohr, sein Flüstern. Alles soll so bleiben, nichts soll sich verändern. Jeden Tag sagt sie es, jeden Tag bittet sie ihn, nicht damit aufzuhören, sie zu lieben. Jeden Tag ein Kuss, bevor sie mit dem Tag beginnen. Dankbar dafür löst sie sich von ihm und springt aus dem Bett. Dankbar für den Kuss. Dankbar für die Kinder. Dass das Glück so weit gehen konnte, damit hätte Blum damals nicht eine Sekunde lang gerechnet. Dass es ihr vergönnt sein würde, kleine Menschen in die Welt zu setzen, zu lieben. Blum wollte damals nicht daran denken, sie stürzte sich in die Umarmung mit Mark. An Kinder zu denken, das hatte sie nicht gewagt. Sie hatte Angst, dass das Glück aufhören könnte, wenn sie es herausforderte, dass die Liebe über Nacht einfach nicht mehr da sein würde. Eigene Kinder zu haben, sie aufwachsen zu sehen, sie zu lieben, Blum wischte die Gedanken daran drei Jahre lang vom Tisch. Mutter zu sein, sie konnte es sich nicht vorstellen, sie hatte Angst, zu wiederholen, was sie gelernt hatte. Die Lieblosigkeit, die Kälte, sie wollte nicht herausfinden, ob sie so war wie Herta und Hagen. Immer war da diese Angst, wenn Mark davon zu reden begann, es schnürte ihr den Hals zu, ließ sie schweigen. Sie traute es sich nicht zu, lange Zeit nicht, doch irgendwann überwand sie sich. Die Sehnsucht wurde zu groß, der Wunsch nach Kindern. Zweimal passierte es. Vor fünf und vor drei Jahren, kleine Wunderwesen. Blum kümmerte sich um jede Träne, um jeden Schrei, sie sorgte sich, berührte sie, wann immer sie konnte, stundenlang trug sie sie, streichelte sie, redete ihnen gut zu. Nächtelang lag sie wach und schaute ihre Engel an, wie sie schliefen. Bis heute zweifelt sie manchmal daran, dass es wahr ist. Dass sie da sind.

2

Uma und Nela. Sie sind oben bei Karl. Marks Vater, der jeden Morgen über seiner Zeitung sitzt, wenn sie in seine Küche stürmen. Ein gütiger alter Mann, der den Kindern Kakao macht, der mit ihnen lacht und bastelt, ihr Opa, der sie liebt und alles für sie tun würde. Uma auf seinem Arm, Nela löffelt Kakao in eine pinke Tasse. Karl erzählt ihnen Geschichten zum Frühstück, er ist ein Segen für alle im Haus. Mark und Blum haben ihn zu sich genommen vor zwei Jahren, eine Zecke hatte ihn gebissen, eine Gehirnhautentzündung war schuld an der Frühpension, daran, dass er sich verändert hatte. Dass er auf Hilfe angewiesen war in manchen Situationen. Hilfe, nach der er niemals verlangen würde, über die er aber froh ist. Es gibt Dinge, die er vergisst, an die er sich nicht mehr erinnert, Alltägliches, das ihm schwerfällt. Mark wollte ihn nicht alleine in seiner kleinen Wohnung lassen, deshalb schlug Blum vor, den ungenutzten zweiten Stock des Hauses umzubauen. Karl sollte bei ihnen wohnen, Blum wusste, wie wichtig er für Mark war. Karl war lange Zeit alles für ihn, Marks Mutter war früh gestorben, da war immer nur Karl gewesen, seit er denken konnte. Wenn er aufwachte, wenn er schlafen ging, immer nur Karl. Sohn und Vater, Alleinerzieher, zwei Männer am Frühstückstisch, väterliche Worte, wenn es die Zeit zuließ. Sie hielten zusammen, so gut es ging. Mark war viel allein gewesen, oft tagelang, Nächte. Ein kleiner Junge allein unter der Bettdecke, ein kleiner Junge, der immer darauf vertraute, dass sein Vater zurückkam. Dass ihm nichts passieren würde, dass das Band zwischen ihm und seinem Vater stärker war als alles sonst. Mark war allein, er trieb sich herum, er war wie ein streunender Hund, doch er war glücklich. So glücklich es ging. Weil Karl sich bemühte. Immer. Auch vor zwanzig Jahren in der Küche, Mark war fünfzehn, er hat Blum davon erzählt, von seinem Leben ohne Mutter, von diesen Gesprächen zwischen Vater und Sohn, die sich so oft wiederholten, von Karl, der mit seinem Feierabendbier am Küchentisch saß, während Mark das Geschirr abspülte.
    – Weißt du schon, was du machen willst, Mark? Nach der Schule?
    – Ich will zur Polizei. Wie du. Zur Kripo.
    – Ach, Junge, du weißt
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