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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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sie schlucken Wasser. Seit zwei Stunden schon. Sie wollen zurück ins Boot, die Bordwand hinauf, sie versuchen alles, sie treten Wasser, sie schwimmen neben dem Boot, sie weinen, sie schreien, sie prügeln mit Fäusten auf das Holz ein, sie rufen ihren Namen. Brünhilde . Immer wieder Brünhilde . Doch Brünhilde hört sie nicht. Egal, wie laut sie schreien, wie stark ihre Finger bluten. Sie wissen, dass sie sterben werden. Hagen und Herta. Sie wissen es. Dass Blum sie hört, dass sie oben liegt und nichts tut. Nur ihre Musik hört, während das Boot dahintreibt. Sie lächelt, weil sie weiß, dass es bald zu Ende geht. Dass sie aufhören werden zu schreien, dass endlich alles gut sein wird. Warm alles, glücklich fast. Da sind nur sie und der Himmel. Sonst nichts. Endlich leben.
    Über drei Stunden in der prallen Sonne. Still brennt ihre Haut. Still. Sie kann nichts mehr hören, kein Klopfen mehr. Niemanden mehr, der ihr sagt, was sie zu tun hat. Hagen und Herta für immer ohne Worte. Nichts mehr, keine Vergangenheit, kein altes Leben, in das sie zurückmuss. Blum wird jetzt steuern, sie wird das Boot zurück nach Triest bringen, sie wird umbauen, die alten Täfelungen aus dem Haus reißen, sie wird eine neue Verabschiedungshalle bauen, einen neuen Versorgungsraum, sie wird das komplette Haus sanieren, bis in den letzten Winkel. Sie wird alles, was an die beiden erinnert, auf den Müll bringen. Blum. Sie ist vierundzwanzig Jahre alt. Sie wird jetzt aufstehen, sich anziehen und die Küstenwache anfunken, sie wird verzweifelt melden, dass ihre Eltern verschwunden sind, spurlos, einfach so, während sie geschlafen hat. Sie wird einen großen Schluck aus Hagens Schnapsflasche nehmen und auf Hilfe warten. Immer wieder wird sie über Funk ihr Entsetzen spielen, sie wird schreien und weinen. Jetzt.
    Vierzig Minuten vergehen. Blum sucht das Meer nach ihnen ab, während sie wartet. Keine Spur von Hagen. Von Herta. Nichts. Nur ein Unglück ist es gewesen. Sie sind einfach verschwunden, untergetaucht für immer. Wasser in ihren Lungen, zwei aufgeschwemmte Leichen irgendwann, die man aus dem Meer fischen wird.
    Blum. Wie sie an Deck steht und winkt. Wie sie um Hilfe schreit, als sie das Boot sieht. Ein kleiner Segler, nicht die Küstenwache, ein Tourist, der als Erster ihre Verzweiflung spürt. Die zitternde Blum, die erzählt, was passiert ist. Der fremde Mann, der an Bord kommt und ihr hilft, der sich um sie kümmert, der das Boot absucht und seine Augen über das Meer schweifen lässt. Seine Stimme, die ihr guttut, die tröstet, seine Arme, die sich um sie legen. Einfach so, ganz plötzlich Zärtlichkeit. Seine Hände, der Sonnenbrand, ihre Haut. Ich bin eingeschlafen. Es ist meine Schuld, wir müssen sie finden. Wo sind sie, um Gottes willen, wo sind sie nur? Was habe ich nur getan, wir müssen zurück, sie suchen, sie sind nicht mehr da, sie sind weg, einfach weg. Was, wenn sie tot sind? Sie schreit. Laut reißt sie sich von ihm los, sie schlägt sich ins Gesicht, immer wieder, sie gibt sich die Schuld für das, was passiert ist. Es ist meine Schuld, brüllt sie. Als er sie festhalten will, schlägt sie auch ihn, sie weint, sie will sich losreißen, sie muss jetzt alles richtig machen. Blum. Alles, was sie jetzt sagt, alles, was sie tut, muss ihn überzeugen, er muss ihr glauben, er darf nicht zweifeln, keine Sekunde, der fremde schöne Mann. Sie lässt sich festhalten von ihm, sie ist ihm ganz nah, ihr Gesicht an seiner Brust, er hält sie, sie atmet schnell, sie kann ihn riechen, sie hört ihn. Seine Stimme, wie er flüstert. Mein Name ist Mark , sagt er. Ich bin Polizist, alles wird gut .

1

Uma springt. Der kleine Körper fliegt durch die Luft, ein großes Lachen ist in ihrem Gesicht, kleine weiße Zähne, glückliche Augen. Ein kleines Mädchen, drei Jahre alt, wie sie fröhlich landet, sich umarmen lässt, sich an sie schmiegt. Mama, ich habe von einem Bären geträumt, er hat laut geknurrt, er wollte mich fressen. Ich musste davonlaufen, Mama. Blum umarmt sie, streicht zärtlich mit ihren Fingern über den kleinen Kopf, berührt die Kinderwange und sagt ihr, dass der Bär nur mit ihr spielen wollte. Dass es nur ein Traum war. Dir wird nichts passieren, ich beschütze dich. Du musst keine Angst haben. Blum küsst Uma auf die Stirn. Uma Blum, sie ist drei Jahre alt, seit einigen Monaten spricht sie, ein Engel mit blonden Locken. Noch ein Engel. Nela ist wieder eingeschlafen, zufrieden liegt sie im Arm ihres Vaters. Im
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