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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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ja nicht, was du da redest.
    – Doch, ich weiß es.
    – Dieser Beruf ist nicht immer nur schön.
    – Welcher Beruf ist das schon.
    – Wir haben heute eine junge Mutter in ihrer Wohnung gefunden, sie hatte ihr Baby so lange geschüttelt, bis es tot war. Ihre Schwester hatte sie gefunden und uns angerufen. Die Mutter saß am Boden und hat das Baby gehalten, sie hat geweint, als ihr die Sanitäter das Kind aus den Armen nahmen. Sie hat gesagt, dass das Kind nicht aufgehört hat zu schreien. Sie wollte nur, dass es still ist.
    – Wir haben kein Spülmittel mehr.
    – Hast du mich verstanden, Mark?
    – So ist das Leben, Papa.
    – Nein, so ist es nicht, so ist es nur für Leute wie mich, für diejenigen, die sich dafür entscheiden, damit ihr Geld zu verdienen. Du musst das nicht sehen, solche Dinge, du kannst dem aus dem Weg gehen.
    – Will ich aber nicht.
    – Du solltest studieren, Mark, die ganze Welt steht dir offen, zur Polizei kannst du immer noch gehen.
    – Ich will es aber so.
    – Warum?
    – Wenn es gut für dich ist, dann ist es auch gut für mich.
    – Deine Mutter hätte bestimmt gewollt, dass du studierst, Wirtschaft oder Medizin.
    – Meine Mutter ist aber nicht mehr da.
    – Ich weiß.
    – Du musst dir keine Sorgen um mich machen.
    – Es tut mir alles so leid, Mark.
    – Was?
    – Alles.
    – Du hast alles richtig gemacht, alles, verstehst du, und jetzt trink dein Bier und hör endlich auf, dir Sorgen zu machen.
    Karl. Zwanzig Jahre später erzählt er den Kindern Geschichten. Uma und Nela lieben ihn, seinen Bart, an dem sie ihre Kinderhaut reiben, seine Stimme, seine Arme, die sie in die Luft werfen, sein Lachen. Karls Leben ist einfach geworden, keine Verbrechen mehr, keine Toten, nur noch die Kinder und sein Ohrensessel, in dem er die Tage verbringt. Wie er stundenlang Musik hört, auf der Terrasse sein Gesicht in der Sonne, immer ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. Karl. Wie Mark immer wieder nach dem alten Mann sieht, ihn zudeckt, wenn er eingeschlafen ist in seinem Sessel. Die Kinder lieben ihn, es steht in ihren Gesichtern, wenn sie von oben herunterkommen und berichten, was Opa ihnen alles erzählt hat.
    Alles, was früher war, ist vergessen. Das Leben vor Mark. Alles, was ist, will sie für immer festhalten. Blum, mit einem Lächeln am Frühstückstisch. Wie Mark seine Kaffeetasse hält und ihr zusieht. Wie sie Butterbrote schmiert, wie sie den Kindern erklärt, dass die Bienen den Honig machen, dass sie nicht trödeln sollen, dass sie in den Kindergarten müssen. Wie ungeduldig sie ist und trotzdem liebevoll, wie sie die Kinder antreibt und trotzdem noch einmal fragt, ob sie noch ein Brot wollen. Wie die Kinder kauen und schmatzen, wie sie den Honig überall auf dem Tisch verteilen, während Blum sich noch kurz mit Mark unterhält, bevor er in den Tag geht.
    – Wann kommst du wieder?
    – Spät.
    – Schwierige Dinge?
    – Ja.
    – Welche?
    – Das willst du nicht wissen, Blum.
    – Vielleicht ja doch.
    – Die Welt ist schlecht, es reicht, wenn ich mich damit herumschlagen muss.
    – Du willst es so.
    – Ich kann nicht anders.
    – Mein Held, mein Retter, das gute Gewissen der Stadt.
    – Etwas Eigenartiges passiert hier.
    – Du meinst den Honig?
    – Ja, ich meine den Honig.
    – Willst du darüber reden?
    – Nein.
    – Du weißt, dass du das kannst, ich bin einiges gewohnt.
    – Ja. Trotzdem nein, ich muss zuerst Gewissheit haben. Im Moment bin ich allein damit, ich bin der Einzige, der ein Verbrechen sieht, wo keines ist.
    – Vertrau auf dein Gefühl.
    – Das ist ja das Problem, genau das tue ich nämlich.
    – Du wirst die Bösen kriegen, du wirst sie hinter Gitter bringen und für Gerechtigkeit sorgen. Und ich werde mich um den alten Mann kümmern.
    – Wie ist er gestorben?
    – Das willst du nicht wissen.
    – Vielleicht ja doch.
    – Du bist so süß, wenn du lachst.
    – Ach du.
    Keine Wut, kein Ärger, keine Traurigkeit, nichts. Es ist nur schön, nichts tut weh, keine Kunden nerven, die Kinder sind pflegeleicht an diesem Morgen. Nichts bereitet ihr Sorgen, es ist ein guter Tag, Blum genießt es, dieses unbeschwerte Gefühl, das Glück, wenn sie ihn anschaut. Mark. Seine Mundwinkel, die nach oben zeigen, die Ruhe, die von ihm ausgeht, die Kraft. Sie fühlt sich beschützt und geborgen, Mark ist Heimat, er ist einfach da, er geht nicht weg. Egal wie laut sie schreit, egal ob sie sich gehen lässt und wütet, egal ob sie manchmal am Leben zweifelt und Angst hat.
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