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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau
Autoren: Bernhard Aichner
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Mark liegt neben ihr, wenn sie aufwacht. Sie spürt ihn, immer. Mark.
    Blum weiß, dass ihn etwas plagt, dass er sich Sorgen macht. Es nagt an ihm, lautlos und heimlich, aber Blum merkt es. Sosehr er sich auch bemüht, seinen Polizeialltag am Eingangstor abzustreifen, es gelingt ihm nicht immer. Blum sieht, wie seine Gedanken rasen, wie er nicht loslassen kann, wie seine Aufmerksamkeit ihr und den Kindern gegenüber immer wieder nachlässt. Mark und seine Leidenschaft für diesen Beruf. Der Kriminalbeamte. Wie er schwärmt, wenn man ihn fragt, was er macht. Dass es keinen schöneren Beruf gibt für ihn auf dieser Welt, dass nichts ihn davon abbringen kann weiterzumachen, weiter an das Gute zu glauben. Er liebt, was er tut, er glaubt daran, und er ist auch bereit, den gewohnten Weg manchmal zu verlassen, um sein Ziel zu erreichen. Mark glaubt an sein Gefühl, er spürt mehr, als er denkt, Logik ist nicht immer seine Sache, er handelt aus dem Bauch heraus, folgt einem Geruch, einem Wort, einem Eindruck. Er glaubt an Intuition, und er glaubt an alles, was ihm sein Vater beigebracht hat, an die vielen Kleinigkeiten, die er über die Jahre beobachtet hat, die Einschätzungen seines Vaters beim Bier am Abend. Die stundenlangen Gespräche über ungelöste Fälle. Noch bevor er sich tatsächlich dazu entschieden hatte, Polizist zu werden. Karl war sein Lehrer, er brachte ihm bei, menschlich zu sein. Was er als Sechzehnjähriger belächelte, beherzigt er bis heute. Manchmal musst du Entscheidungen treffen, Mark. Völlig egal, was die anderen sagen, du wirst das tun, was dir dein Herz sagt. Keine Gewalt, keine Übergriffe. Wenn einer am Boden liegt, trete nicht auf ihn ein. Du bist einer von den Guten. Vergiss das nie. Karl machte aus Mark einen Polizisten. Einen der besten. Einen, der auch einmal Gnade vor Recht ergehen lässt. Mark bemüht sich, immer nach dem Grund eines Verbrechens zu fragen, er will verstehen, wie es dazu gekommen ist, warum jemand straffällig geworden ist. Warum jemand riskiert, geächtet und eingesperrt zu werden. Warum jemand bereit ist, mit einem Vorschlaghammer auf einen Geldautomaten einzuschlagen. Jemand wie Reza.

3

Es war vor sechs Jahren. Reza wollte doch nur das Geld, ein bisschen davon, nur so viel, dass er überleben würde, er wollte sich Essen kaufen, er hatte Hunger. Reza hatte die Überwachungskamera an der Fassade mit einem Stein außer Gefecht gesetzt, die Kamera am Automaten hatte er mit Klebeband verdeckt. Als Mark kam, schlug er gerade zum wiederholten Mal auf den Automaten ein. Mit voller Wucht, dorthin, wo das Geld war, immer wieder. Reza bemerkte nicht, wie Mark auf ihn zustürmte. Mark drückte ihn nach hinten, es war wie im Krieg, ein Soldat am Boden, verletzt, am Ende angekommen, der Feind über ihm, mit einer Waffe in der Hand. Mark, wie er auf Reza zielte, wie er ihn zwang, sich auf den Bauch zu legen, aufzugeben.
    Reza ist Bosnier. Seit sechs Jahren arbeitet er nun als Bestatter. Ist Blums Gehilfe, ihre rechte Hand. Er hatte alles verloren im Krieg, seine Brüder, seine Eltern, sein Haus. Alles war verbrannt, nichts mehr war übrig. Dass er überlebt hatte, war wie ein Wunder, er hatte sich versteckt, hatte zugesehen, wie die Serben schlachteten. Von einem Tag auf den anderen musste er lernen, was Krieg bedeutete, wie brutal das Leben sein konnte, der Tod, wie blutig, wie laut. Nichts blieb ihm, niemand, der für ihn da war, sich um ihn kümmerte, Reza war allein, ohne Dach über dem Kopf, ohne Geld, da war nichts mehr. Nur Blut und Krieg und Töten. Wie oft er einfach zugeschlagen hat. Wie einfach es war. Er hat Menschen getötet. Im Krieg, um zu überleben, noch bevor er achtzehn war. Die Erinnerungen kamen zurück, die halbe Nacht lang erzählte Reza, er breitete sein Leben vor ihnen aus. Mark und Blum hörten ihm zu, mit offenen Mündern folgten sie ihm, es waren unglaubliche Geschichten von einem Kind mit einem Gewehr in der Hand.
    Mark war auf dem Heimweg gewesen. Dass er den Mann mit dem Hammer überhaupt gesehen hatte, war Zufall. Ein kleiner Blick nach rechts veränderte alles. Rezas Leben drehte sich plötzlich. Womit er gerechnet hatte, traf nicht ein, alles kam anders. Anstatt im Gefängnis zu landen, brachte ihn Mark in die Villa. Anstatt getreten und gedemütigt zu werden, bekam er Essen und ein Dach über dem Kopf. Niemand hatte sie gesehen. Keine Kameras, keine Passanten, nichts war gestohlen worden, es blieb nur ein Sachschaden. Mark entschied einfach, er
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