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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer
Autoren: Susanne Mischke
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so ein leerer Tag. Ein Tag, an dem Tristesse und Einsamkeit aus den Zimmerecken kriechen, ein endloser Tag, an dem sie zwar deutlich erkennt, dass in ihrem Leben gerade etwas falsch läuft, es aber dennoch nicht fertigbringt, den Kurs zu korrigieren. Sie hätte doch mit ihrer Mutter nach Mallorca fahren sollen, auch wenn diese ihr nach einem halben Tag gründlich auf die Nerven gegangen wäre.
    Mit dem Glas in der Hand steht sie auf dem Balkon. Der Abend ist warm. Man könnte hier sitzen, auf den blau lackierten Stühlen, eine Flasche Wein, zwei Gläser, leise Gespräche beim Flackern eines Windlichtes … Sie blinzelt die Bilder weg. Durch einen Tränenschleier schaut sie hinunter auf die Straße, die von prächtigen Altbauten gesäumt wird. Es ist nicht viel los in der List. An einem solchen Tag sitzen die Familien zusammen und essen Lammbraten. Sie muss an ihren Chef denken, Bodo Völxen, der Schafe als Kuscheltiere hält und sich bei jeder Gelegenheit über »diese verdammte Lämmerfresserei« aufregt.
    Selber schuld, ich müsste heute nicht alleine sein, sagt sich Jule. Sie hat die Einladung ihres Vaters zum gemeinsamen Abendessen mit seiner neuen Lebensgefährtin ausgeschlagen. Regelmäßig redet sie sich ein, diese Person nicht leiden zu können. Aber wenn sie ganz ehrlich ist, muss sie zugeben, dass sie dieser Frau unrecht tut. Unter anderen Voraussetzungen würde sich Jule vielleicht sogar ganz gut mit ihr verstehen – sie ist ja nur wenige Jahre älter als sie selbst. Tief in ihrem Inneren weiß Jule, dass bei der Ablehnung dieser Frau nicht nur Solidarität mit ihrer Mutter eine Rolle spielt, sondern auch eine Portion Neid mitschwingt. Was hat sie, das ich nicht habe? Warum verlassen andere Männer, sogar ihr eigener Vater, ihre Frauen, nur er nicht? Ob er wohl gerade am Tisch sitzt und die Lammkeule anschneidet? Sie verbietet sich den Gedanken an das Familienleben ihres – ja, was eigentlich? Freund? Nein, dafür sieht man sich zu selten und stets heimlich. Liebhaber? Geliebter? Verhältnis? Egal wie man es nennt, es ist ein unbefriedigender Zustand, dessen Beendigung sie sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche vornimmt. Aber immer wieder schiebt sie die Entscheidung auf oder macht sie so rasch rückgängig, dass ihr Geliebter gar nichts davon merkt. Schon wieder ertappt sie sich dabei, wie sie nach ihrem neuen Mobiltelefon schielt und den Apparat in Gedanken beschwört, doch endlich einen Laut von sich zu geben. Er könnte ja wenigstens eine SMS schicken, ihr zeigen, dass er an sie denkt. Falls er das überhaupt tut.
    Okay, Alexa Julia Wedekin, du schwörst jetzt und hier einen heiligen Eid: Wenn er sich bis morgen Abend nicht bei dir gemeldet hat, dann machst du am Dienstag Schluss, und zwar endgültig. Und wenn du noch einen Funken Selbstachtung besitzt, dann hältst du dich dieses Mal daran.
    Jule zuckt zusammen, als es klingelt. Es ist nicht ihr Telefon, sondern die Türklingel. Der Wein schwappt aus dem Glas über ihre Hand. Jule stellt es ab und durchquert mit raschen Schritten ihre Wohnung.
    Er hat sich loseisen können für ein paar Stunden, er hat sich mit seiner Frau gestritten, er hat sie verlassen, steht mit einem großen Koffer und einem verlegenen Lächeln vor der Tür. Feiertage wirken ja oft wie ein Katalysator auf angeknackste Beziehungen, auch wenn Weihnachten dafür eher prädestiniert ist …
    »Na, schöne Frau, bist du fertig?«
    Thomas, der in schwarzen Jeans und einem weißen Hemd vor ihr steht, schaut sie prüfend an, um dann festzustellen: »Du hast es vergessen.«
    Jule dämmert es. Da war so eine vage Verabredung, neulich, als sie Thomas und Fred im Hausflur getroffen hat. »Verdammt, die Party im Ernst August. Stimmt, tut mir leid.«
    Schon steht ihr Nachbar in ihrem Flur. »Macht nichts. Wir sind früh dran, ich genehmige mir ein Weinchen, bis du fertig bist.«
    »Ist es schlimm, wenn ich nicht mitkomme? Ich bin gerade gar nicht in der Stimmung für so was, ich …«
    Thomas schließt die Tür hinter sich und schüttelt den Kopf. »Keine Ausreden. Du kommst mit. Oder willst du dir etwa das Oster-Fernsehprogramm reinziehen und dich dazu betrinken?«
    »Was spricht dagegen?«
    »Los jetzt, wasch dich, schmink dich und zieh dich sexy an, die Konkurrenz schläft nicht.«
    Jule seufzt und verschwindet im Bad.
    »Na also, geht doch«, bemerkt Thomas zwanzig Minuten später. Jule trägt ein weit ausgeschnittenes brombeerfarbenes T -Shirt, einen kurzen schwarzen Rock und schwarze
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