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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer
Autoren: Susanne Mischke
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Mitte hat sich grellgelbe Glut gebildet, oben züngeln die Flammen gierig nach Nahrung. Scheite, die aus dem Haufen stürzen, sprühen Funken. Kinder toben johlend herum und stochern mit qualmenden Stöcken in der Glut, um rasch zurückzuspringen, wenn sie es vor Hitze nicht mehr aushalten. Ihre Köpfe sind knallrot. Mütter und Väter in Jack Wolfskin -Parkas und mit Bierflaschen in den Händen unterhalten sich mit ihresgleichen, während sie ihren zündelnden Nachwuchs im Auge behalten.
    »Jonas, nicht so nah ans Feuer«, warnt eine Frau mit einer Stimme wie eine Kreissäge, und das nicht zum ersten Mal, dazu bellt ein Hund unaufhörlich. Liebespärchen küssen sich im Schein der Flammen, Jugendliche stehen grüppchenweise beisammen, Bierflaschen klirren aneinander, einer rülpst. Gelächter. Wanda hat Freunde getroffen, man macht Fotos von sich und dem Feuer. Übermorgen wird in den Zeitungen der exzessive Alkoholgenuss der Jugendlichen bei den diversen Osterfeuern beklagt werden, so wie jedes Jahr. Als ob sie dazu das Osterfeuer bräuchten, denkt Völxen und: Wen wundert’s, die Alten saufen ihnen ja seit Jahren etwas vor.
    »Jonas, geh nicht so nah ans Feuer. Ich sag’s nur einmal!«
    Völxen wünscht, es wäre so. Er stellt sich neben seine Frau Sabine, die sich ganz der archaischen Faszination der Flammen überlässt. Ihre Wangen sind rot, auch Völxen spürt die Hitze im Gesicht. Er legt den Arm um sie, sie lächeln sich an. Ein kleiner, schwereloser Glücksmoment.
    Das Feuer ist inzwischen arg in die Breite gegangen. Ein Trecker wird angeworfen. Der junge Mann hinter dem Steuer scheint noch nüchtern zu sein. Geschickt hantiert er mit der großen Schaufel, um das glühende Brandgut wieder zusammenzuschüren. Es qualmt. Die, die in Windrichtung stehen, fliehen rasch auf die andere Seite.
    »Jonas, nicht so nah ans Feuer, sonst gehen wir sofort nach Hause!«
    Die Umstehenden husten, während sie den Vorgang interessiert beobachten und Ratschläge erteilen, die der Fahrer ohnehin nicht hören kann.
    Völxen fragt sich besorgt, ob die Glut nicht die Reifen des Treckers beschädigt. Aber der Fahrer macht das offensichtlich nicht zum ersten Mal, der wird schon wissen, was er tut. Funken stieben, als er eine größere Ladung glühender Holzstücke auf die Schaufel lädt.
    Plötzlich geht ein Schrei durch die Menge, dann noch einer. Instinktiv weichen die Menschen ein paar Schritte zurück, Hände pressen sich auf aufgerissene Münder und verdecken Kinderaugen, Männer fuchteln wild mit den Armen, um dem Fahrer zu bedeuten, dass er die Schaufel nicht über dem Feuer auskippen soll. Endlich scheint der Mann zu verstehen, dass etwas nicht stimmt, er legt den Rückwärtsgang ein. Langsam senkt sich die Schaufel herab, bis sie den Boden berührt. Für einen kurzen Moment hört man nur das Knacken und Knistern des Feuers und den Treckermotor im Leerlauf. Sogar der Köter hat aufgehört zu bellen. Dann kreischt eine Mädchenstimme: »Iiiihhh! Eine Leiche!«
    Sie hat recht. Inmitten des glühenden Geästs liegt die verbrannte Leiche eines Menschen. Bodo Völxen stockt der Atem, er verspürt den Impuls, sich abzuwenden, die Augen zu schließen, aber er zwingt sich, hinzusehen.
    Der Körper ist verkrümmt. Fechterstellung würde Dr. Bächle sagen, tritt bei Brandopfern durch Zusammenziehen der Sehnen und Schrumpfung der Muskulatur ein . Nur ein Arm hat sich dieser Regel offenbar widersetzt, er ragt über den Rand der Schaufel hinaus, die Finger sind zur Faust geballt und die zittert gespenstisch im Takt des Motors, als wollte sie den Umstehenden drohen. Die Haut ist schwarz und an einigen Stellen aufgeplatzt. Völxen muss unwillkürlich an die eben verzehrte Wurst denken, die genauso aussah, er kann sich nicht gegen diesen schändlichen Gedanken wehren, obwohl er es versucht, schon aus Selbstschutz. Mit hechelnden Atemstößen kämpft er gegen die aufsteigende Übelkeit an. Er weiß, dass er jetzt etwas tun muss, dass in diesen Augenblicken seine Geistesgegenwart und Umsicht gefragt sind, jetzt oder nie. Schließlich ist er der leitende Hauptkommissar im Dezernat 1.1.K, der Abteilung für Todesermittlungen und Delikte am Menschen , das weiß jeder im Dorf, und man erwartet nun mit Recht von ihm, dass er die Situation irgendwie regelt, organisiert, dass er das Kommando übernimmt. Stattdessen steht er da wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. Er kann nicht mehr hinsehen, es geht einfach nicht. Dieser verkohlte
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