Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London Hades

London Hades

Titel: London Hades
Autoren: Stefanie Dettmers
Vom Netzwerk:
Kapitel 1

    D a waren leise Stimmen, ein aufgeregtes Tuscheln und Wispern im Untergeschoss des leer stehenden Stadthauses. Matthew ahnte, dass sie etwas planten, noch bevor er F üß e ü ber die Stiegen vor der T ü r zu seinem Gef ä ngnis huschen h ö rte. Er hob den Kopf vom Fensterrahmen und lauschte in die Dunkelheit des Zimmers hinein. Tats ä chlich, sie kamen zu ihm herauf. Jetzt war es so weit. Lange genug hatte er darauf gewartet.
    Seit Tagen war niemand mehr bei ihm gewesen, kein Mucks hatte sich im Haus geregt. Nur um ihn herum hatte es rumort und gel ä rmt. Die angrenzenden Geb ä ude lebten und atmeten, durch ihre Mauern vibrierten Alltagsger ä usche wie Herzschl ä ge zu ihm herein: br ü llende Kinder, ihr Trampeln und Kreischen, streitende Menschen, summende Menschen, das Ä chzen und Knacken alter Bausubstanz. Ein tausendfaches Echo, wie es durch fast jeden Londoner Haushalt schallen musste. Nur im Innern des Hauses, einzw ä ngt zwischen diesen Mauern, die auch ihn festhielten, war es still geblieben. Fast hatte sein ausgelaugter Geist die zwei Tage genossen, die er in dem hohen, leeren Raum mit der wei ß en Holzvert ä felung verbracht hatte. Ausruhen, endlich. Keinen Gedanken daran verschwenden, ob der n ä chste Tag erneut die Gnade besitzen w ü rde, ihn ü berleben zu lassen. Ab und an hatte er ein wenig Brot gegessen und Wasser getrunken, beides hatte er schon vorgefunden, als man ihn herbrachte.
    An nichts hatte er mehr denken m ü ssen – au ß er an Frances.
    Aber damit war es jetzt wohl vorbei. Die Schritte n ä herten sich der T ü r, ein nerv ö ses Prickeln machte sich in Matthews Nacken breit. Er zwang sich, ruhig zu bleiben, vielleicht w ü rde sich die ganze absurde Situation ja gleich aufkl ä ren.
    Seine Fingerkuppen strichen ein letztes Mal ü ber das Bild von seiner geliebten Frances, die Kohlezeichnung, die ihr Gro ß vater vor seiner Abreise f ü r ihn angefertigt hatte, und klappte das B ü chlein zu, in dessen Innendeckel es nun klebte. Egal was die Kerle auf dem Flur von ihm wollten, f ü r Frances w ü rde er auch damit fertig werden. Sie irgendwann wiederzusehen, sie in die Arme zu schlie ß en und ihr erkl ä ren zu k ö nnen, was passiert war, war l ä ngst zu seinem einzig verbliebenen Lebenszweck geworden.
    Er steckte das Buch hinter seinen Hosenbund, drapierte das Hemd dar ü ber und richtete seine verschlissene Ä rmelweste, die mittlerweile so viele Kn ö pfe eingeb üß t hatte, dass er sie vor der Brust mit den Armen geschlossen halten musste.
    Seine Hoffnung, nun endlich eine Erkl ä rung f ü r seine Entf ü hrung zu erhalten, l ö ste sich in demselben Augenblick auf, in dem der Riegel zur ü ckgeschoben wurde und die T ü r nach Innen aufschwang. Die f ü nf M ä nner, die im T ü rrahmen erschienen, trugen dunkle, unauff ä llige Kleidung, wie sie lichtscheues Pack f ü r gew ö hnlich bevorzugte, das wusste Matthew mittlerweile zur Gen ü ge. Ihre schwarzen, abgegriffenen Great Coats wirkten auf ihn wie die Habite einer obskuren Glaubensgemeinschaft. Die Kragen dieser M ä ntel waren hochgeschlagen und so weit zugekn ö pft, dass die Gesichter ihrer Tr ä ger nicht zu erkennen waren. Dunkle Dreispitze aus Filz sorgten daf ü r, dass nur die Augen der M ä nner das Licht der Laternen, die zwei von ihnen in den H ä nden trugen, spiegelten.
    Diese M ä nner waren genauso gekleidet wie die beiden, die ihn vor drei Tagen auf einem seiner n ä chtlichen Streifz ü ge ü berfallen und dann hierhergebracht hatten.
    Matthew stand sofort von der Fensterbank auf, auf der er gesessen und den Abendhimmel beobachtet hatte. Hinter ihm lugte die fahle Scheibe des Mondes durch das Tafelglas; man sah sie in der Stadt sonst nur selten, weil Tag und Nacht der Rauch aus ungez ä hlten Kaminschloten den Himmel verschluckte. Aber nun beleuchtete das milchige Licht seinen R ü cken, und Matthew hoffte, es w ü rde seine kr ä ftige Gestalt so imposant in Szene setzen, wie er es beabsichtigte. Denn die Kerle, so stellte er mit Bedauern fest, waren ihm in K ö rperbau und Statur durchaus ebenb ü rtig. Wer auch immer sie ihm auf den Hals gehetzt hatte, er w ä hlte seine Handlanger sehr sorgf ä ltig aus.
    » Wer seid ihr? «
    Er hatte keine Antwort erwartet, die waren sie ihm auch vor drei Tagen schon schuldig geblieben. Aber er hatte auch nicht damit gerechnet, dass sich zwei der schwarz Gewandeten aus der Gruppe l ö sen und ihn ohne ein einziges Wort angreifen w ü rden.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher