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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer
Autoren: Susanne Mischke
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Ostersonntag
    »Gib auf, Völxen!«
    Na klar, das würde denen so passen. Bodo Völxen umkrallt den Lenker und tritt mit aller Kraft in die Pedale. Die Herausforderung, vor die ihn der Vörier Berg stellt, ist größer als vermutet.
    »He, Torpedo! Pass auf, dass du nicht umfällst!«
    Köpcke hat gut lästern. Der Nachbar und seine beleibte Frau sind zu Fuß unterwegs. Eine kluge Entscheidung, erkennt Völxen.
    Dabei hat er sich gerade nur verschaltet, das kann bei einundzwanzig Gängen schon mal passieren. Von den Tücken eines Hightech-Trekkingrades hat dieser stiernackige Hühnerbaron natürlich keine Ahnung, woher auch, Köpcke fährt John Deere und einen uralten Benz .
    Aber absteigen und schieben kommt nicht infrage. Verdorben von einschlägigen Fernsehkrimis, erwarten die Bewohner von ihrem Dorf-Schimanski, wie sie ihn hintenherum nennen, eine gewisse körperliche Fitness. Zudem fürchtet Völxen Sabines und Wandas spöttische Kommentare, die im Falle einer Kapitulation gnadenlos auf ihn niederprasseln würden. Schlimm genug, dass sie ihn bereits am Fuß der Anhöhe abgehängt haben. Dabei waren es die beiden, die ihn überredet haben mitzukommen. »Wir müssen uns aktiver am Dorfleben beteiligen«, hat er die Worte seiner Frau Sabine noch im Ohr.
    »Warum müssen wir das?«, hat Völxen wissen wollen, aber als Antwort nur ein Augenrollen erhalten. Seine Tochter Wanda dagegen meinte, Rad fahren wäre gut für seine Linie. Beim Wort »Linie« vermaßen ihre Blicke die Wölbung seiner Körpermitte auf eine ziemlich respektlose Weise. Wanda war es auch, die kürzlich eine Tabelle an die Badezimmertür geheftet und darauf sein Idealgewicht mit Leuchtstift markiert hat. Von dieser giftgelben Zahl angespornt, hat Völxen dem Unternehmen »Radtour zum Osterfeuer« zugestimmt. Dennoch würde er jetzt viel lieber auf dem Sofa liegen und verfolgen, wie sich Hannover 96 beim HSV schlägt. Was ist schon ein Feuer, auch wenn es ein großes ist? Er war noch nie pyromanisch veranlagt.
    Die anderen offenbar schon: Das ganze Dorf ist auf den Beinen und bewegt sich bergwärts. Ziel der Prozession ist eine fette Rauchwolke, die schwarz in den Abendhimmel steigt.
    Völxen hustet. Die Luft riecht süßlich-klebrig nach Raps und Brandbeschleuniger. An Letzterem haben die Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr wieder einmal nicht gespart, was sie natürlich nie zugeben würden, schon gar nicht vor ihm.
    Meter für Meter quält Völxen sich die Straße hinauf, immerhin ist eine Differenz von fünfundsechzig Höhenmetern zu bewältigen. Rechts und links von ihm blühen Tulpen, Narzissen und Forsythien in den Gärten, von Zwergen bewacht, doch dafür hat Völxen keinen Blick übrig. Er beißt die Zähne zusammen, löst sein Gesäß vom Sattel und zieht vorbei an einer alten Dame in Begleitung eines ebenso betagten Dackels und an einem jungen Mann, der einen Kinderwagen die Straße hinaufschiebt. Der Mann muss aus dem kürzlich erschlossenen Neubaugebiet kommen, ein Vertreter dieser neuen Vätergeneration, die sich für alles hergibt, urteilt Völxen, während er sich mit hochrotem Kopf vorankämpft. Kein Wunder, dass seine Kondition heute nicht mehr die allerbeste ist, denn über die Feiertage hat er schwer geschuftet: Er hat die Gelegenheit des Osterfeuers genutzt und rund um sein Anwesen die Hecken und Büsche gestutzt und die Apfelbäume auf der Schafweide beschnitten. Das Schnittgut liegt nun auf dem großen Haufen oben auf dem Hügel. Heute musste der Zaun der Weide ausgebessert werden, danach hat er den vier Schafen und dem Bock die Klauen gesäubert und geschnitten. Eine Schramme an seiner Stirn zeigt, was Amadeus von Fußpflege hält.
    Nur noch ein kurzes Stück, los, das schaffst du! Nicht aufgeben, sonst sind Blut, Schweiß und Tränen vergeblich geflossen! Völxen übt sich in stummen Durchhalteparolen, während er den himmelblau bemalten Klowagen am Straßenrand hinter sich lässt. Aus dem Verleih des zur Bedürfnisanstalt umgebauten Bauwagens bezieht der örtliche Gesangverein seine Einkünfte. Das ist lohnender, als wenn sie Gagen für ihre Auftritte verlangen würden. Unzählige Male hat man Völxen in den vergangenen zwanzig Jahren aufgefordert, sich den Sängerknaben anzuschließen, aber Völxen kann und will nicht singen, und er mag keine Vereine.
    Schweißgebadet, aber stolz auf seine Leistung erreicht er die Partyzelte am Ende der Straße. Auch ein Löschwagen der Freiwilligen Feuerwehr steht bereit, falls der Brand
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