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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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für den Fall, dass sich unter den Fingernägeln Spuren eines Kampfes befanden: Hautfetzen, Haare, Blutpartikel einer anderen Gruppe als der des Opfers.
    Der Mann, der die Lage der Leiche vermessen hatte, schritt nun zwischen den Kärtchen hin und her und leuchtete den Boden mit einem Halogenscheinwerfer ab, in dessen Licht die Muster von zahllosen Schuhsohlen sichtbar wurden, und der Fotograf ging neben ihm her und fotografierte die Fußabdrücke. Inzwischen brannten so viele Scheinwerfer, dass es keine Schatten mehr gab, als handelte es sich um einen Tatort im Weltraum.
    Van Leeuwen sagte: »Ich möchte, dass die Männer von dem Blut da auf dem Pflaster eine Probe nehmen und von dem Urin an der Mauer auch. Und sie sollen alles eintüten, was hier so rumliegt – Zigarettenkippen, Kaffeebecher, Kaugummi, Kokstütchen, Kondome, alles. Liefern Sie mir ein komplettes Spurenbild!«
    »Seit wann interessiert sich das Hoofdbureau für einen unbekannten Toten im Rotlichtviertel?«, fragte Hoofdagent Brugman.
    Van Leeuwen sagte: »Er ist nicht unbekannt, und ich glaube auch nicht, dass er einen Herzanfall erlitten hat oder Opfer einer Schlägerei wurde. Da liegt eine Aktentasche, die ihm gehört haben könnte, mit einem Bibliotheksausweis auf den Namen Gerrit Zuiker. Außerdem steckt in der Tasche eine Pistole, eine Walther, allerdings weiß ich nicht, ob sie geladen ist. Ich verlange nichts von Ihnen, was Sie als guter Polizist nicht sowieso tun würden – ich will nur, dass Sie es ganz besonders sorgfältig tun und dass Sie mir persönlich Bericht erstatten, so schnell wie möglich. Also, suchen Sie nach Zeugen – Anwohner, Touristen, Nutten, Zuhälter, das Personal von den Kneipen und Sexshops, überprüfen Sie jeden, der etwas gesehen haben könnte. Versuchen Sie herauszufinden, ob die Waffe eine Geschichte hat, ob sie schon mal bei einer Straftat benutzt worden ist. Und stellen Sie fest, ob der Tote wirklich Gerrit Zuiker heißt, ob er vermisst wird oder Familie hat. Ich will wissen, aus welchem Milieu er kommt, welche sexuellen Vorlieben er hatte, ob er Trinker war oder Spieler oder Schmetterlingssammler – alles, was ihn von einem Spurenträger zurück in einen Menschen verwandelt –, aber unternehmen Sie sonst nichts. Ich verlasse mich auf Sie, Hoofdagent Brugman.«
    Auf einmal merkte er, wie müde er war. Es ließ sich nicht vermeiden – er wollte nicht nach Hause, aber er hatte keine Wahl.
    Der Hoofdagent gab sich große Mühe, kompetent und straff zu klingen. »Darf ich Sie daran erinnern, dass eigentlich wir für die Ermittlungen in diesem Fall zuständig sind, Commissaris?! Der Tote liegt in unserem Garten.«
    »Aber ich habe ihn gefunden«, sagte der Commissaris.

3
    Die Menschen wie reife Früchte malen , hatte Renoir einmal als Losung ausgegeben; dazu waren Ölfarben erforderlich. Erinnerungen dagegen präsentierten sich nicht selten als Aquarelle, ungewisse, im Dunst über der Gischt der Jahre entstandene Skizzen, denendas Flüchtige der Wasserfarben etwas verführerisch Ungenaues gab. Bei Bruno van Leeuwen traf dieses Phänomen allerdings nicht zu. Wenn er sich erinnerte, stand die Vergangenheit scharf wie ein Foto vor ihm, jede Einzelheit an ihrem Platz und zum Anfassen nah, gleich, ob die verstrichene Zeit Jahre überbrückte oder nur eine Minute. Also kein Ölgemälde und auch kein Aquarell, eher ein fotorealistischer Prozess. Oder, da Renoir ohnehin nicht unbedingt sein Fall war, ein Kupferstich von Goya, seinem Lieblingsmaler.
    Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der Van Leeuwen gern nach Hause gegangen war, voller Vorfreude auf den Abend mit Simone, den Anblick ihres Gesichts, den Klang ihrer Stimme. Den Geschmack des Glücks. Ihre braunen Augen, ihre lebhafte Intelligenz, der Schwung, mit dem sie beim Reden das lange blonde Haar zurückwarf, eine Kopfbewegung als pars pro toto . Die Währung der Liebe schien ihnen nie auszugehen – Abende mit Rotwein, lange Gespräche, gemeinsam ausgesuchte Schallplatten, zärtliche Umarmungen, leidenschaftliches Begehren.
    Simones Augen: in ihre Wärme, ihre Tiefe hatte er sich sofort verliebt, schon bei ihrer allerersten Begegnung, und diese Augen waren dieselben geblieben über die Jahre und Jahrzehnte, auch noch, als die andere Zeit gekommen war. So nannte er es bei sich – die andere Zeit, in der er all seinen Mut zusammennehmen musste, Abend für Abend, um über die Schwelle seiner Wohnung zu treten, hinter der inzwischen auch eine andere Frau
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