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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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Licht flackerte.Der Junge hörte auf zu grinsen und sah wieder aus dem Fenster, als wäre er in Gedanken ganz woanders.
    Van Leeuwen merkte, wie etwas in seinem Blut zu flimmern begann. Das flimmernde Blut floss in seine Arme und Beine und stieg ihm in den Kopf, und er wusste genau, was es war, aber er bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Schlägst du gerne Mädchen?«, fragte er den Jungen, der das Mädchen geohrfeigt hatte. »Macht man das so bei euch zu Hause, da, wo du herkommst?«
    Jetzt lachten auch die anderen Jungen nicht mehr, und der, den Van Leeuwen meinte, blickte endlich zu ihm auf und sagte: »Leck mich, ich bin hier genauso zu Hause wie du, Alter.«
    »Schön«, sagte Van Leeuwen, »dann bin ich ja für dich zuständig.« Er beugte sich vor und gab dem Jungen eine Ohrfeige, ein bisschen härter, als der Junge das Mädchen geschlagen hatte. »Gefällt dir das?«
    Der Junge zischte vor Schreck. Sein Kopf zuckte zurück und schlug gegen die Fensterscheibe. Der Commissaris spürte, wie das Flimmern ihn jetzt ganz erfüllte, und er musste sich zwingen, den Jungen nicht noch einmal zu schlagen – es ist nur ein Junge! Er zog seinen Ausweis heraus, damit alle Gelegenheit hatten, sich seinen Namen zu merken und Beschwerde gegen ihn einzureichen. So ruhig er konnte, sagte er: »Hör jetzt mal ganz genau zu, Jungchen: Hier bei uns, wo wir also beide zu Hause sind, schlägst du keine Frau, kapiert? Du schlägst keine Frau und kein Mädchen, nicht mal im Spaß und auch nicht, um ihr was beizubringen, und schon gar nicht, weil du vor deinen Kumpels damit angeben willst, wie toll du bist. Ich weiß nicht, was dir deine Eltern beigebracht haben oder was deine Schriftgelehrten behaupten, aber so ist das hier bei uns, wo wir beide zu Hause sind.« Er steckte den Ausweis wieder ein. »Möchtest du dazu noch etwas sagen, bevor ich aussteige, Jochie ?«
    Der Junge zitterte. Wut und Scham flackerten in seinen Augen wie dunkle Flammen. Aber er sagte nichts. Er schwieg und kämpfte mit seinen Gefühlen, und endlich gab er auf und schüttelte den Kopf.
    »Gut«, meinte der Commissaris. Er ging zurück zur Tür und drückte den Stopp-Knopf. Die Straßenbahn hielt an der nächsten Station. Bevor er ausstieg, sah Van Leeuwen das Mädchen an. »Wie heißt du?«
    »Yasmina«, antwortete das Mädchen leise.
    »Ruf mich an, wenn er dich noch mal schlägt, Yasmina«, rief der Commissaris. »Bruno van Leeuwen im Hoofdbureau van Politie.« Er stieg aus und blickte sich nicht mehr um, denn die Jugendlichen waren nicht der Grund für seine Unruhe gewesen; der Kreisel drehte sich noch immer. Er ging das ganze Stück zurück und bog hinter der Börse in den Oude Brugsteeg, der zur Warmoesstraat führte.
    Linker Hand ritten die an ihren Stegen vertäuten Ausflugskähne leise knarrend auf den kleinen Wellen im Hafenbecken. Die Unruhe trieb den Commissaris voran, durch die enge Gasse zur Warmoesstraat und weiter zum Oude Zijds Voorburgwal. Kurz fasste er einen jungen Mann ins Auge, der an einer Mauer lehnte und nichts trug als eine Army-Hose mit Tarnmuster und eine verchromte Brille mit spiegelnden Gläsern. Sein Haar war kurz geschnitten und platinblond gefärbt, der Oberkörper nackt. Verschlungene Tattoos bedeckten seine Schultern und Oberarme. Vor seinen schmutzigen Füßen stand ein Blumentopf mit einer vertrockneten Sonnenblume neben zwei großen, überquellenden Rucksäcken. Ein Obdachloser aus der Zukunft, dachte der Commissaris.
    Um diese Zeit hatte das Rotlichtviertel nichts Verführerisches mehr; die Glühbirnen, die an Lichterketten kreuz und quer über den Kanal gespannt waren, wirkten genauso schäbig wie die rot und grün angestrahlten Fassaden und die violetten Fenster. Kronkorken und braune Scherben blinkten auf dem Pflaster der Gehwege zwischen weggeworfenen Zigarettenschachteln, Burger-Tüten und zusammengeknülltem Frittenpapier. Ausgebrannte Drogenfreaks mit aschfarbenen Augen taumelten blicklos ihrem persönlichen U-Bahn-Schacht zur Hölle entgegen.
    An den Brücken standen farbige Zuhälter und Dealer in kleinen Gruppen zusammen, blieben dabei aber ständig in Bewegung.Sie trugen Sonnenbrillen, massive Panzergoldketten, diamantenbesetzte Uhren, dicke Kalbslederjacken und teure Laufschuhe. Ihr Lachen war leise, ohne Fröhlichkeit, und für ihr Toilettenwasser hatte in Kaschmir wahrscheinlich eine ganze Population von Moschushirschen ihr Leben lassen müssen.
    Der Commissaris ging an ihnen vorbei zum Achterburgwall.
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