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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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nicht mehr und auch nicht die Pistole darin. Er folgte dem Jungen über den Oude Voorburgwal, vorbei an
     roten Lampen in lila Fenstern, an S & M -Studios, Cabarets mit Live-Sex-Shows und Sex-Video-Kabinen. Er achtete nicht auf die Massagesalons, Tattoostudios oder Pornokinos, und auch den Vitrinen voller Dildos, schwarzer und grüner Reizwäsche, Plastikvaginen und Peitschen schenkte er keinen Blick.
    Der Mann widerstand den Lockungen der Casa Rosso und des Sex Palace . Er ließ auch De Kooning of Siam und das Moulin Rouge links liegen. Hinter offenen Ladentüren stapelten sich Magazine und DVD s für Männer, die Männer begehrten, und Frauen, die Frauen begehrten, und Männer und Frauen, die alles begehrten, aber niemand liebten. Die Magazine, Videos und DVD s interessierten den Mann nicht. Er wusste, dass der Junge den Vorfall herumerzählen würde, und auch Pieter würde Margriet davon erzählen, und den Gedanken an ihr Gesicht, den Blick in ihren Augen, konnte er einfach nicht ertragen.
    Ich wünschte, ich wäre tot.
    Im Gehen öffnete er seine Aktentasche, schob die Hand hinein und tastete nach dem Griff der Pistole.
    An der nächsten Ecke blieb das Licht der Uferstraßen zurück. Nach einem Stück fast vollkommener Finsternis stand der Mann in der Mitte einer kurzen Gasse aus graffitibeschmierten Mauern vor einem schwach beleuchteten Hintereingang. Als seine Augen sich an die Beleuchtung gewöhnt hatten, sah er plötzlich den Jungen direkt vor sich. Er blieb abrupt stehen und packte den Pistolengriff, zog die Waffe aber noch nicht hervor. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, damit das, was jetzt geschah, nicht so unvorbereitet passierte.
    Er sah den Jungen an, und der Junge erwiderte den Blick mit seinen großen dunklen Augen. Sein nasses Gesicht veränderte sich, als wieder die Verachtung darüberflackerte. Was willst du jetzt noch? , sagten die Augen, es war ein Fehler, du bist kein Mann, du verdienst deine Frau nicht, und du verdienst mich nicht. Und da, ohne nachzudenken und ohne noch etwas zu sagen und sogar ohne es zu wollen, zog der Mann die Hand aus der Aktentasche – leer, keine Pistole darin – und schlug zu, so heftig, dass es ihn selbst überraschte.
    Der Junge ließ das Skateboard fallen, riss die Hände hoch und stürzte. Einen Moment lag er nur so da auf dem nassen Pflaster. Der Mann begriff, was er getan hatte, und beugte sich über den Jungen. Plötzlich zog der Junge die Beine an und versetzte ihm einen Stoß.
    Der Mann verlor das Gleichgewicht. Die Aktentasche entglitt seiner Hand, er taumelte und kippte nach hinten. Im Fallen presste er die Finger gegen das Gesicht, um die Brille zu schützen, während der Junge schnell aufstand, geschmeidig wie ein Breakdancer. Der Mann versuchte, sich an seinem Hosenbein festzuhalten, aber der Junge trat nach ihm, und er musste ihn loslassen.
    Der Junge hob sein Skateboard auf und lief die Gasse hinunter. Der Mann lag da und dachte, dass er jetzt zum zweiten Mal geschlagen worden war, und auch wenn es diesmal keine Zeugen gab, wusste er es, und er würde es immer wissen, er konnte es sogarsehen, mit seinen Augen und mit Margriets Augen. Er würde es sehen können, solange er lebte.
    Das Pflaster war nass, aber nicht kalt. Mühsam richtete der Mann sich auf, tastete nach seiner Aktentasche. Die Brille fiel auf die Steine, und er hörte, wie sie aufschlug. Er fand sie vor der Tasche, und als er sie wieder aufsetzte, fand er auch die Tasche. Undeutlich sah er den Jungen am Ende der Gasse, dort, wo die Gracht begann. In der Ferne erklang eine Polizeisirene. Sie kam nicht näher, blieb immer gleich weit entfernt, bis sie wieder verstummte.
    Der Fischreiher in der Ulme am Ufer der Gracht breitete die Flügel aus und hob ein Bein. Der Federkamm auf seinem Kopf sträubte sich. Plötzlich schien es auf der ganzen Welt nur noch diesen Anblick zu geben, einen großen grau-weißen Vogel, der zum Fliegen ansetzte. Eine Gestalt bog um die Ecke. Erst dachte der Mann, der Junge käme zurück. Die Gestalt näherte sich schnell und verdunkelte die Mündung der Gasse, und sie löschte auch den Anblick des Fischreihers aus. Es tut ihm leid , dachte der Mann, er kommt zurück, um sich zu entschuldigen. Dicht neben ihm blieb die Gestalt stehen, um sich über ihn zu beugen. Er hörte ein Rascheln und Knistern, dann streifte die Gestalt ihm etwas über den Kopf. Es war durchsichtig – was ist das ?, durchsichtig und stickig. Warm umschloss es seinen Kopf. Er riss den Mund
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