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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen
Autoren: Richard Calder
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Windschutzscheibe; ich warf mich in genau dem Moment zur Seite, als das Glas splitterte, riss das Steuer erst nach links, dann nach rechts; der Wagen fuhr Zickzack, bis Metall auf Metall knirschte; ein Motorrad wurde durch die Luft geschleudert; die Räder holperten über etwas Weiches, gerieten ins Rutschen. Eine scharlachrote Wolke spritzte empor.
    Primavera schnappte sich einen Schraubenschlüssel aus dem Handschuhfach, schlug das restliche Glas aus dem Rahmen und rollte dann auf den Rücksitz.
    Ich hatte die Kontrolle verloren. Wir donnerten zwischen armseligen Hütten hindurch. Eine Gruppe von alten Frauen, denen Betelnusssaft aus dem Mundwinkel lief, lächelte, runzelte die Stirn und riss dann die Münder auf, als der SiL auf die Benzindestille zuraste, die sie mit Rattan und Plastikplanen getarnt hatten. Die Destille überschlug sich, Funken flogen. Wir fuhren durch ein Flammenmeer und mähten dann eine Papphütte nieder, wobei wir den Bewohnern (Pseudoandroiden der fünften Generation) sowie den Träumen ihres Besitzers, der sie zur Ernte hatte vermieten wollen, erheblichen Schaden zufügten. Mühsam steuerte ich den SiL wieder auf die Straße zurück.
    »Hinter uns ist ein Pick-up«, sagte Primavera. Ich hörte, wie sie den Sitzbezug beiseiteschob. »Da hol mich doch ...«
    »Ein Laser?«
    »So was in der Art.« Ich warf einen Blick nach hinten und sah, dass Primavera ein uraltes Gewehr entdeckt hatte.
    »Du sollst nach vorne schauen, du Idiot!« Ein Hund wurde über die Motorhaube geschleudert, rechts und links wichen uns Autos und Rikschas aus. »Wie zum Teufel funktioniert das?«
    »Zündhütchen?«
    »Kann sein. Stammt wohl aus irgendeinem Krieg. Kito hat manchmal in ihren Bars damit herumgefuchtelt.«
    Zündhütchen. Wie in den alten Filmen, dachte ich bei mir. Wie in Myshkins Videos.
    »Steck einfach den Lauf durchs Fenster und drück ab. Mal sehen, was passiert.«
    »Unter dem Rohr ist so ein klobiges Teil.« Ich fuhr auf die Schnellstraße. »Sie haben aufgehört zu schießen«, sagte sie.
    »Ja ‒ da vorne ist eine Polizeikontrolle. Neben der Eisenbahnüberfahrt. Schieß besser nicht.« Ich bremste bis unter das Tempolimit.
    »Die werden unsere Ausweise sehen wollen«, sagte Primavera. »Was machen wir dann?«
    »Bis Nongkhai sind es knapp fünfzig Kilometer. Gut möglich, dass wir ihnen entwischen. Dieses Teil ist wirklich schnell.«
    Die Polizisten winkten uns durch. Vielleicht lag es an den getönten Scheiben; vielleicht hatten die Bullen auch noch nicht gehört, dass Kito in Ungnade gefallen war, und unser personalisiertes Nummernschild erkannt ‒ Nana 1 . Kito hatte dafür ein ordentliches Sümmchen hingeblättert; fast so viel wie die täglichen Schmiergelder für Bangkoks Gesetzeshüter.
    »Sie halten den Pick-up an. Jemand steigt aus. Es ist dieser Wichser Morgenstern!«
    »Was machen sie?«
    »Ich kann sie nicht mehr sehen.«
    Ich gab Gas; das Tachometer kletterte von 40 auf 80 Stundenkilometer. »Wir sind bald in Nongkhai. Und wenn wir erst mal den Fluss überquert haben ...«
    »Da sind sie wieder!«, rief Primavera. Morgenstern hatte den Polizisten bestimmt seinen Diplomatenausweis gezeigt; Morgenstern oder das Roboterdouble, das er vom Krankenhausbett aus steuerte. Die Straße war unbeleuchtet, es herrschte kaum Verkehr. Wir befanden uns in einer Gegend, die Mörder in ihren Träumen aufsuchten.
    Hinter dem Pick-up tauchte eine Harley auf, überholte ihn und kam ‒ heulend wie ein Kettensägen schwingendes Psychobike ‒ immer näher. »Der andere Zwilling«, sagte Primavera.
    »Wahrscheinlich ist sie sauer, weil wir ihre Schwester plattgewalzt haben. Unsere Räder sind bestimmt voller Bijouterie .«
    Die Pikadon wurde im Rückspiegel immer größer. Primavera hielt das Gewehr umklammert. »Du könntest es mal damit versuchen«, sagte ich.
    Primavera drehte ein Fenster herunter, beugte sich hinaus und setzte den Kolben der rostigen Waffe an die Schulter.
    RUMMS!
    »Wow!«, sagte sie. »Das Ding funktioniert!«
    Die Harley geriet ins Schleudern, fing sich wieder, wechselte einmal, zweimal die Fahrspur und machte dann einen Satz nach vorne, bis der Rachezwilling auf derselben Höhe war wie wir. Das berüchtigte Pikadon-Lächeln war so kalt und grausam wie die Kindheit, und der Schrei blieb mir im Hals stecken. »Mr. Ignatz töten Bang«, schrie sie über das Brüllen ihres Motorrads hinweg. »Nicht nett. Du böser Junge! Boom dich jetzt verhauen.« Sie hob einen Laser.
    Die
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