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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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Kreuzung.«
    Er muss es wissen, der Osten ist schließlich sein Revier. Ich biege in die schmale Schillingstraße ab, erreiche die Karl-Marx-Allee am Kino International und biege, »links«, sagt Siggi, entsprechend ein.
    Jetzt geht es auf den Alexanderplatz zu, die Autos werden wieder mehr, der Verkehr dichter. Die Sperrung der Innenstadt macht sich bemerkbar.
    »Vor dem Verlag rechts«, meldet Siggi wie ein Kopilot bei der Rallye Paris-Dakar. Ich wechsle die Spuren, rase verkehrswidrig an zwei Bussen rechts vorbei und biege in die Karl-Liebknecht-Straße ein, die wenige hundert Meter weiter zur Prenzlauer Allee wird.
    Schon an der Dimitroffstraße sind sämtliche Seitenstraßen abgeriegelt, überall Blaulichter und Sirenengeheul. Eine lange Reihe von Westberliner Räumpanzern und Wasserwerfern wartet auf ihren Einsatz.
    Ich stoppe den Wagen an einer Polizeisperre.
    »Hier können Sie jetzt nicht rein«, ruft ein Uniformierter. »Polizeieinsatz!«
    »Ja, eben«, rufe ich und wedele mit meinem Dienstausweis, »machen Sie den Weg frei!«
    Der Polizist springt zur Seite, ich fahre die Dimitroffstraße weiter hoch. Schon wabert Tränengas zwischen den Häusern, an der Lychener brennt eine Barrikade aus Sperrmüll.
    »Okay, wir müssen zu Fuß weiter«, stellt Siggi fest, »halt an.«
    »Vielleicht kann ich über die Schönhauser …«
    »Vergiss es, halt an!« Siggi schnallt sich ab. »Ich kenn hier ein paar Wege über die Höfe, nun mach!«
    Ich stelle den Wagen am Straßenrand ab, über uns knattert ein Hubschrauber. Siggi zerrt mich in einen Hauseingang, weiter geht es über düstere Hinterhöfe.
    In der Ferne Geschrei und Sirenengeheul, ganz in der Nähe knallt es ein paarmal. Eine Lautsprecherstimme hallt zwischen den Häusern wieder, aber man versteht nicht, was gesagt wird.
    Wir klettern über brüchige Mauern und stehen plötzlich in einer Seitenstraße. Ein Dutzend junger Leute kommt uns atemlos entgegen, eine Tränengasgranate explodiert in einer Straßenlaterne, die Scheiben zersplittern auf dem Asphalt. Alles rennt los, hinten biegt ein Wasserwerfer um die Ecke, vorn versperrt ein Polizeikordon mit Plexiglasschilden die Straße. Wir sitzen in der Falle!
    »Da lang«, ruft Siggi und zerrt mich in einen Hausflur. Das Tränengas brennt in den Augen, und irgendwie fühle ich mich an den Nahen Osten erinnert. Beirut, Libanon oder Gaza-Stadt.
    Ein paar junge Mädchen flüchten sich ebenfalls in den Hausflur, aber Melanie ist nicht dabei. Wir folgen ihnen. Das Haus grenzt an einen Kirchhof, weiter geht’s über alte Grabstätten, und im Schatten der Friedhofsmauer verschnaufen wir einen Moment. Wieder kreist ein Hubschrauber über uns, leuchtet mit Suchscheinwerfern die Gegend ab.
    Siggi lugt vorsichtig über die Mauer. »Alles ruhig, komm!«
    Wir klettern über die Mauer, laufen im Schatten der Häuser die Straße entlang. An einer Kreuzung steht ein Auto in Flammen. Ein Stück weiter wird ein Supermarkt geplündert. Nicht von Autonomen, nein, es sind Anwohner, die sich hier rasch mit dem Nötigsten für die nächsten Tage eindecken. Wir sind in belagertem Gebiet.
    »Wo sind die Einsatzkräfte hin?« Siggi sieht sich angespannt um.
    »Haben sich zurückgezogen«, antworte ich, »wir sind im inneren Ring.«
    »Kennst dich aus, was?« Siggi keucht. Sein Smoking ist schmutzig und an den Achseln ausgerissen.
    »Ich kenn das von früher«, erwiderte ich und stecke mir eine Zigarette an. »Ich weiß, wie so was abläuft.« Plötzlich hören wir die Trommeln, dumpfe, schnelle, drohende Rhythmen.
    »Das sind sie«, sage ich zu Siggi, »Melanie trommelt da mit.«
    Fünf Minuten später erreichen wir den Helmholtzplatz. Er ist voll von jungen Menschen, sie hocken um Lagerfeuer herum, diskutieren, wie es zu der Eskalation kommen konnte. Viele sind wütend. Jetzt heißt es wieder »gewaltbreite Chaoten« – Scheiße! Und alle fragen sich, wie es weitergeht.
    Auf den Dächern sitzen die Trommler und schlagen ihre donnernden Mahnungen in die Nacht hinaus, und der Polizeihubschrauber umkreist sie wie eine riesige Libelle.
    Die Bühne ist abgebaut worden, mit dem Holz werden an den besetzten Häusern die Fenster bis zum zweiten Stock vernagelt, Türen und Durchgänge verstärkt und verriegelt.
    Viele der Rollheimer haben ihre Bauwagen für Barrikaden und Befestigungszwecke zur Verfügung gestellt und ziehen in die besetzen Häuser. Unter ihnen sind auch Mütter mit Kindern. Ein Wahnsinn, das alles!
    Plötzlich sehe ich den
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