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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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verwickelt war. Er hat ihn ermordet.«
    »Was? Von Lahn?« Palitzsch gießt sich empört Wodka nach. »Können Sie das beweisen?«
    »Alle Indizien weisen darauf hin. Und wir haben einen Zeugen, der dabei war«, erkläre ich. »Heinrich Boelter. Ein Taxifahrer aus Berlin. Er wurde bereits festgenommen und hat gestanden.«
    »Was?« Palitzsch sieht uns ungläubig an.
    »Werner von Lahn ermordet zu haben. Aus Notwehr. Er fühlte sich unter Druck gesetzt und hatte Angst. Zudem gibt es handfeste Beweise, Spuren und so weiter gegen von Lahn.«
    »Du lieber Himmel, wenn das die Presse erfährt!« Palitzsch schüttelt sich und deutet dann auf meinen Verband. »Ist die Kopfverletzung im Dienst entstanden?«
    »Das kann man so sagen«, nicke ich.
    »Guter Mann!« Palitzsch gießt zwei weitere Gläser voll. »Jetzt trinken Sie erst mal was. Auf den Erfolg!«
    Ich will ihm gerade sagen, dass Alkohol der Genesung meines erschütterten Gehirns nicht gerade förderlich sei, als die Tür aufgerissen wird und Beylichs Ermittler hereinstürzen.
    »Es ist kurz vor zwölf Uhr, Genosse Major!«, meldet Matuschka und verbessert sich stockend: »Also ohne Genosse! Und ohne Major.«
    »Dafür mit Kriminalrat«, setzt Branner leicht genervt hinzu und verteilt kleine Zettel.
    Draußen hört man die Bereitschaftspolizei wieder marschieren.
    »Was ist das?« Beylich guckt irritiert auf den Zettel in seiner Hand.
    »Die neue Nationalhymne«, erklärt Matuschka stolz, »Deutschland, Deutschland über alles!«
    »Einigkeit und Recht und Freiheit«, kläre ich ihn auf, »wir singen nur noch die letzte Strophe.«
    »Und wir singen gar nicht mehr«, knurrt Beylich. »Wir summen nur noch.«
    »Summen«, erkundigt sich Hünerbein verwundert, »wieso summen Sie nur?«
    »Wegen ›Deutschland einig Vaterland‹«, Beylich winkt ab, »das passte irgendwann nicht mehr.«
    Das ist typisch für unsere ganze verkorkste deutsche Geschichte, denke ich. Zwei Hymnen, von denen die eine nur gesummt und von der anderen nur die letzte Strophe gesungen werden darf.
    »Aber jetzt passt’s doch wieder«, ruft Palitzsch begeistert. »Herrgott: ›Deutschland einig Vaterland‹ – passender geht’s doch gar nicht mehr! Sie sollten das singen! Sie … Sie müssen das singen! Was für ein Aufbruch in neue Zeiten!«
    »Aaaaach-tung!«, donnert es vom Hof des Polizeipräsidiums. »Still-gestanden!«
    »Es geht los«, flüstert Matuschka ehrfürchtig und mit glänzenden Augen.
    »Also gut«, Beylich sieht seine Männer an und erhebt sich. »Wir singen die DDR -Hymne. Wissen alle den Text noch?
    »Jawoll, Herr Kriminalrat«, donnert es zurück. Und kein einziges ›Genosse‹ mehr. Es klappt allmählich.
    »Zur Flaggenparade«, brüllt es vom Hof. »Die Au-geeen – links!«
    »Gehen wir ans Fenster«, schlägt Palitzsch vor und kippt noch einen Wodka. »Meine Herren! Wir erleben deutsche Geschichte!«
    »Hol nieder Flagge!« Gleichzeitig beginnt das Blasorchester, die DDR -Hymne zu spielen. Der Zapfenstreich hat begonnen.
    Beylich und seine Ermittler singen ergriffen mit, während draußen im Hof die Staatsflagge der DDR nach fast einundvierzig Jahren endgültig niedergeholt wird.
    Auferstanden aus Ruinen
    Und der Zukunft zugewandt,
    Laß uns dir zum Guten dienen,
    Deutschland, einig Vaterland!
    Die Musik ändert sich zu einem getragenen Marsch …
    Alte Not gilt es zu zwingen,
    Und wir zwingen sie vereint,
    … und wird wieder hymnisch melodisch:
    Dass die Sonne schön wie nie
    Über Deutschland scheint,
    Über Deutschland scheint.
    Als die Hymne endet, sind die Augen von Beylich feucht von Tränen. Und auch die übrige Truppe scheint tief gerührt.
    Draußen brüllt es: »Zum Müt-zen-tausch, die Au-geeen – ge-ra-de-aus! – Al-teee Müüüüt-zen – ab!«
    Drei Hundertschaften Bereitschaftspolizei reißen mit ihrer linken Hand ihre Mützen mit dem DDR -Emblem herunter.
    »Neu-eee Müüüt-zen – auf!«
    Die Bereitschaftspolizisten setzen mit der rechten Hand Polizeimützen mit dem Bundesadler auf, was nicht allen gleich gelingt.
    »Die Au-geeen links! – Heisst Flagge!«
    Wieder beginnt das Blasorchester zu spielen, diesmal die deutsche Nationalhymne, und am Flaggenmast kriecht langsam die schwarz-rot-goldene Fahne der Bundesrepublik empor. Gleichzeitig bricht ganz in der Nähe am Brandenburger Tor und am Reichstag ein gigantisches Feuerwerk los.
    Palitzsch, Hünerbein und ich singen laut, voller Pathos und ergriffen von dieser historischen Stunde, die ehemaligen
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