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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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hat wieder zu schmerzen angefangen. In Ermangelung von Yogitee nehme ich eine Schmerztablette. Die hilft im Zweifelsfall auch.
    Melanie ist nicht da, aber die ist wohl bei ihrem komischen Hardcore-Festival. In der Küche liegt ein Zettel:
    Vati, wo steckst du denn? Im Kühlschrank ist Eintopf, ich muss gleich wieder weg! Die wollen die Häuser räumen lassen, aber wir trommeln die ganze Nacht und werden uns wehren!!! Grüße, deine Melly.
    Augenblicklich bin ich wieder hellwach: Wir werden uns wehren? – Wann? – Wenn geräumt wird?
    Ich schalte das Radio an. Auf dem Sender Freies Berlin läuft Musik, »Stairway to heaven«, aber in ein paar Minuten müssen Nachrichten kommen. Ich warte, mache mir nervös einen Kaffee.
    Verdammt, Melanie, das ist doch kein harmloses Räuber-und-Gendarm-Spiel mehr! Nur zu gut kann ich mich an die brutalen Straßenschlachten Anfang der achtziger Jahre erinnern, als es um die Räumung der Häuser am Winterfeldtplatz ging. Damals hatte es sogar einen Toten gegeben und hunderte von Schwerverletzten.
    Endlich Nachrichten, aber noch wird gemeldet, dass nach über vierzig Jahren die deutsche Teilung überwunden ist. Seit null Uhr gelten auf dem Gebiet der vormaligen DDR nun die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland …
    … und in Ostberlin die der Berliner Linie, denke ich, na, hoffentlich setzen die das nicht gleich heute Nacht durch.
    Plötzlich klingelt es an der Wohnungstür. Vielleicht ist das Melanie? Meine Hoffnungen werden enttäuscht. Vor der Tür stehen Monika und Siggi und schwenken eine Flasche Sekt.
    »Wir dachten, wir stoßen mit dir auf die deutsche Einheit an!«
    Na prima! Offenbar kommen sie beide von einer Party, denn Siggi trägt Smoking und Monika ein elegantes schwarzes Etuikleid. Sie sieht wunderbar aus, aber ich habe keinen Blick dafür.
    »Was ist mit deinem Kopf passiert? Hattest du einen Unfall?«
    »Ruhig«, zische ich, denn eben kommt die befürchtete Meldung im Radio.
    »Am Rande der Feierlichkeiten zur deutschen Einheit ist es in Berlin erneut zu Krawallen mit gewaltbereiten Extremisten gekommen. Noch zur Stunde liefern sich am Helmholtzplatz und in den umliegenden Straßen hunderte sogenannter Autonome eine Straßenschlacht mit der Polizei. Armin Hampel berichtet: – ›Auslöser der Krawalle war ein Straßenfest auf dem Helmholtzplatz und die bevorstehende Räumung zweier baufälliger Häuser, die im April dieses Jahres von Autonomen besetzt worden sind …‹«
    Das reicht! Ich schalte das Radio aus und zwänge mich an Siggi und Monika vorbei. »Feiert ohne mich! Ich muss los!«
    »Wo willst du denn hin?« Monika hält mich am Arm fest.
    »Helmholtzplatz! Da sind Krawalle. Ich muss unsere Tochter da rausholen!« Ich drücke ihr Melanies Zettel in die Hand und stürme die Treppe hinunter.
    »Warte«, höre ich Siggi rufen, »ich komme mit!«
    Der Blödmann hat mir gerade noch gefehlt! Ich mache, dass ich Abstand gewinne, habe aber keine Chance. Ich will meinen Wagen gerade starten, da sitzt er schon neben mir und schnallt sich an.
    »Es ist auch meine Tochter«, faselt er drauflos, »wir sind beide für sie verantwortlich!«
    »Halt einfach ‘s Maul, okay?« Ich gebe Gas, brettere die Belziger entlang, rechts in die Eisenacher rein und dann die Hauptstraße runter.
    »Fahr über Kreuzberg, Prinzenstraße«, schlägt Siggi vor, »die ganze Innenstadt ums Brandenburger Tor herum ist wegen der Feierlichkeiten gesperrt. Da kommen wir nicht durch.«
    Ich biege in die Kolonnenstraße, überhole ein schleichendes Taxi und gebe Vollgas bis Mehringdamm, links runter und dann rechts die Gneisenaustraße rein.
    »Wie kommt Melanie zu diesen Hausbesetzern«, will Siggi wissen, »was hat sie da verloren?«
    »Woher soll ich das wissen«, rege ich mich auf, »die ist fast jeden Tag da. Verliebt in irgend so einen Punk wahrscheinlich!«
    »Der zieh ich die Hammelbeine lang«, droht Siggi.
    »Du ziehst am besten Leine«, knurre ich. Der hat sich schon viel zu lange in mein an sich so ruhiges und überschaubares Leben eingemischt.
    »Jetzt rechts«, ruft Siggi.
    »Ja doch!« Kreischend biegen wir in die Baerwaldstraße ein. Als würde ich mich in Berlin nicht auskennen. Dieser Idiot. Ich wohne schon viel länger hier, oder?
    Es geht durch die Prinzenstraße über den alten Grenzübergang auf die Heinrich-Heine-Straße in Ostberlin. Dann unter der Jannowitzbrücke durch halb links auf die Alexanderstraße.
    »Nächste rechts«, ruft Dieter, »da sparen wir uns die große
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