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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht
Autoren: Oliver G Wachlin
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nervös. »Wenig später kommt Musik aus der Scheune. RIAS Berlin. Der Typ kommt wieder aus sei’m Haus, um nachzukieken, wat da los is.«
    Das war sein Tod, denke ich. Armer Kerl.
    »Zehn, zwanzig Minuten später kommt der Borsalinohut aus der Scheune und jeht ins Haus. Ick denke noch, wat is ‘n jetzt? Wo bleibt denn der andere? Ick kieke durch so ‘n kleenet Fenster in die Scheune und …« Heini Boelter schlägt die Hände vors Gesicht und fängt wieder an zu weinen. »… seh den da hängen. An so ‘m Seil … Aufjehängt hat er den wie so ‘n ollet Schwein.«
    Die werden per Bolzenschuss in den Tod befördert, denke ich und sehe Boelter mitfühlend an.
    »Von dem Moment an hab ick jedacht: nee!« Er schüttelt bekräftigend den Kopf. »Det is nüscht für dich. Ick bin keen Agent. Aus der Nummer steig ick aus.«
    »Und dann?«
    »Ick stand da wie bekloppt. Ick wollte weg, aber … Ick konnte nicht. Ick war wie … wie …«
    Gelähmt, das kenn ich. Man steht da wie angewurzelt.
    »Det hat mindestens noch ‘ne Stunde jedauert, bis der Borsalinohut zurückkam. Ick weeß och nich, wat der so lange in dem Haus gemacht hat.«
    Akten gesucht, denke ich, belastendes Material aus seiner Agentenzeit für Stasi und Verfassungsschutz. »Hat er was gefunden?«
    »Nee.« Boelter starrt mich verständnislos an. »Wat soll der denn da jefunden haben? Jedenfalls schreit er mich an, ick soll die Kanister nehmen und so.«
    Klar, denke ich, um alle Spuren zu vernichten.
    »Also renne ick los, in jeder Hand vierzig Liter Benzin, und fange an, det überall in dem Haus auszuschütten. Streichholz an und bumm! In null Komma nix brennt die janze Hütte lichterloh. Na ja, und dann sind wir abjehauen. Zurück zum Flughafen. Ick bekomme die restlichen fünf Mille. Erst mal duschen, denke ick, und dann ‘n schönen Abend machen in ›Clärchens Ballhaus‹. Ablenken, vastehste? Weg von die finsteren Jedanken.« Boelter atmet tief durch. »Und dann fängt mich der Borsalinohut auf dem Klo ab. Kaum sechs Stunden später …«
    Ja, denke ich, denn inzwischen war Siggi bei ihm. Und von Lahn hat gemerkt, dass er seine Akten an der falschen Stelle gesucht hat.
    »Den wär ick in meinem janzen Leben nich mehr losjeworden«, da ist sich Boelter sicher. »Den musste ick einfach …« Er seufzt und sieht mich hilflos an. »Komm ick jetzt in ‘n Knast?«
    »Natürlich, was glaubst denn du? Niemand kommt ungeschoren davon, wenn er jemand getötet hat.«
    »Det war Notwehr!«
    Ja, überlege ich, vermutlich war es das. »Erzähl das so dem Gericht«, rate ich ihm und verabschiede mich. »Ich will sehen, was ich für dich tun kann.«
    »Bist ‘n Guter«, Heini sieht mich verheult und dankbar an. »Mein Freund«, setzt er hinzu und hält fest meine Hand. »Mein einziger Freund.«
    »Glaubst du ihm?«, fragt mich Hünerbein, als ich wieder aus dem Vernehmungsraum komme.
    »Warum nicht? Ist doch ‘ne plausible Geschichte.«
    »Die er sich vielleicht nur ausgedacht hat«, zweifelt Hünerbein, »um seinen Kopf zu retten.«
    »Guck dir seine Schuhe an.« Ich deute durch die Scheibe in den Vernehmungsraum, wo Boelter wie ein Häuflein Elend sitzt. »Sieht so Schuhgröße sechsundvierzig aus?«
    »Nee«, meint Hünerbein, »det ist höchstens ‘ne zweiundvierzig.«
    »Eben«, nickte ich, »der Mörder von Arndt hatte aber sechsundvierzig, wie wir wissen. Und das …«
    »… ist die Schuhgröße von Werner von Lahn«, beendet Hünerbein meinen Satz.
    45    UM FÜNFZEHN UHR WAR das »Autonome Hardcore-Festival« auf dem Helmholtzplatz bereits in vollem Gange. Die Ruine war mit einer gigantischen schwarz-rot-goldenen Fahne verhängt worden, mit einem schwarz-roten Stern in der Mitte, und auf der Bühne malträtierten diverse Punkbands lautstark ihre Instrumente.
    Sonst erinnerte alles an ein, wie es hier hieß, buntes Volxfest: Es gab Artisten, die mit brennenden Fackeln jonglierten, Seiltänzer, Zauberer und eine große Hüpfburg für Kinder. An unzähligen Ständen wurden schwarze T-Shirts mit Anarchosternen verkauft, Tücher, Sandinokaffee aus Nicaragua und verschiedene Sorten von Kampagnentees. Aus einer großen Gulaschkanone wurde Erbseneintopf verteilt, Mädchen töpferten Krüge und Vasen. Der Erlös sollte der »Autonomen Republik« zugutekommen.
    Zwischen den Hardcore-Einlagen lösten sich auf der Bühne die Redner ab und forderten mehr Raum für alternative Wohnprojekte im neuen Deutschland. Es gab kleine Aufführungen unabhängiger
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