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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve
Autoren: Marlies Michaelis
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1  Einführung
    Wissen Sie noch, wie das erste Buch hieß, das Sie gelesen haben? Wie stolz Sie waren, als Sie die fremde Welt der Buchstaben, der Worte und Sätze eroberten und sich nun selber die Geschichten durchlesen konnten, die Ihnen vorher vorgelesen worden waren? Und wie das entscheidende Eintauchen in diesen Ozean aus Geschichten und Wissen immer wie selbstverständlich mit Büchern verbunden war, mit gedruckten Büchern? Zwar haben auch andere Medien Wissen vermittelt – angefangen mit dem Fernsehen, der Sesamstraße und Sendungen mit einer Maus. Aber dort, wo es um vertiefende Inhalte ging und auch darum, die Geschichten in der Phantasie überhaupt erst entstehen zu lassen, dort war das Buch unverzichtbar. Was passiert nun mit dieser vertrauten Welt der Bücher, wenn auch diese digital werden? „Jetzt nimmt man mir das auch noch weg“ – das war die spontane Reaktion eines Menschen, den ich auf das Thema elektronische Bücher ansprach. So, als würde ihm jemand ein Buch, das er fest umklammert, aus den Händen reißen. Wer ist dieser „Jemand“? Und was hat man diesem Leser zuvor schon weggenommen, dass nun eine solche Verlustangst entsteht?
    Elektronische Bücher reihen sich ein in eine Serie von Erfindungen und neuen Gegenständen, die unsere alltägliche Welt rasant und grundlegend verändert haben. Zunächst kamen Schallplatten aus der Mode, weil die CDs einen besseren Klang versprachen, kleiner waren und praktischer zu bedienen. Zudem konnte man von ihnen einfacher eine Kopie erstellen. Später waren da so komische „Briketts“, die klingelten. Ihre Besitzer standen stolz am Straßenrand und brüllten das Gerät an. Und dann hieß es, es hätte Vorteile, weiße Buchsen an die Wand zu schrauben, Kabel durch die Wohnung zu ziehen und diese mit dem PC zu verbinden, um über die Telefonleitung die große weite Welt des World Wide Web zu betreten. Schließlich kam der Moment, da reichte es nicht, sich über die weißen Buchsen einfach Informationen über die Welt ins Büro, Wohn- oder Arbeitszimmer zu holen und Mails zu schreiben. Da begannen die Leute plötzlich, einen zu fragen, ob man schon ein Profil auf Facebook habe oder wenigstens auf XING oder Wer-kennt-wen anzutreffen sei. Inzwischen braucht man auch keine CD mehr, um Musik zu hören. Dateien und ein Gerät zum Abspielen reichen völlig aus.
    Die Veränderungen bewirkten also nicht nur den Verlust von alten Gegenständen und Geräten – vom Plattenspieler über den Videorekorder bis hin zur Schreibmaschine –, sondern es entstanden auch zunehmend neue Geräte. Sie benötigen keine Tonträger und Kassetten mehr, geschweige denn einen festen Anschlag der Finger wie bei der guten alten Schreibmaschine, die noch ohne Strom funktionierte. Die neuen Geräte spielen das digital Gespeicherte ab und scheren sich recht wenig darum, ob die Dateien Bilder, Musik oder Text enthalten.
    Wir holen uns das eigentlich Entfernte in großer Menge digital heran und verdampfen viele Gegenstände und Ereignisse auf ihren digitalen Gehalt. Das gilt für Musik, Fotos, Videos, Freundschaften. Dem Verlust von vertrauten Gegenständen und der Konzentration auf den unmittelbaren Nahbereich steht eine Erweiterung unserer Wahrnehmung gegenüber, die reizvoll ist, jedoch manchmal zur Reizüberflutung führt. Sie können heute kaum noch ein Gespräch über einen längeren Zeitraum führen, ohne dass sich der Fernbereich einschaltet – etwa das Handy klingelt oder jemand zum Smartphone beziehungsweise Tablet greift, um kurz etwas nachzuschauen. Die Augen – unser Fernsinn, der am weitesten reicht – können inzwischen nicht mehr nur bis zum nächsten Waldrand oder zur nächsten Häuserzeile sehen, sondern bis nach Japan. Und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. Oftmals haben wir Mühe, diese ganzen Veränderungen zu verkraften. Es ergeht uns wie jemandem, dessen Straße, Hausfassade oder sogar Wohnung ständig umgebaut wird. Wir kennen uns manchmal nicht mehr aus. Das Repertoire an Gewohnheiten und Gewohntem schrumpft zusammen. Wer das als spannend und bereichernd erlebt, wird es begrüßen. Wer sich davon mitgerissen fühlt wie von einem Wildwasserbach, in dessen Strudel er ständig nach Luft schnappt, wird es als Bedrohung ansehen und mit Angst reagieren – und manchmal vergessen, dass die neuen Möglichkeiten ihn nicht zwingen, sie zu benutzen. Andererseits wäre es aber auch schade, sie nicht zu nutzen, wenn sie Vorteile bringen. Es kommt also hier wie bei allem
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