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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Schuhfrage wurde durch handgenähte chinesische Stoffschuhe gelöst   – eine Sonderanfertigung von Oma Hong für extra große Langnasenfüße.
    Irgendwann, das hatte Inge sich fest vorgenommen, würde sie sich einen
qípáo
anmessen lassen; diese figurbetonten Seidenkleider mit den gewagten Seitenschlitzen und strengen Stehkragen hatten es ihr angetan. Die nötigen weiblichen Kurven besaß sie mittlerweile.
    Sie fuhren mit der Straßenbahn, die nun wieder zuverlässig verkehrte. Auf der Garden Bridge standen keine Wachtposten gleich welcher Nationalität, und auf dem Glenline Building wehte keine Hakenkreuzfahne mehr, die Wilhelm Finkelstein in Panik hätte versetzen können. An den Anlegern herrschte wieder reges Treiben, die versenkte »Conte Verde« war längst von den Japanern gehoben und repatriiert worden.
    Als sie am »Federal« vorbei in den Hof gingen und zu den Fenstern des Hinterhauses hinaufsahen, wurde selbst Marianne Finkelstein von Wehmut erfasst. So schlecht war die Zeit hier eigentlich gar nicht, meinte Inge in ihrem Gesicht zu lesen. Da kam Sanmao in seinem langen blauen Festtagsgewand auch schon die Treppe herunter und empfing die Gäste. Inge zwinkerte er verschwörerisch zu, nachdem er ihre Eltern begrüßt hatte.
    »Hallo, Yatou, das hätten wir uns bei unserem ersten gemeinsamen Neujahr auch nicht träumen lassen, wie? Damals war es der Hase, stimmt’s?«
    »Stimmt. Und jetzt haben wir Schwein.« Inge musste lachen, obwohl Sanmao ihren Scherz wahrscheinlich nicht mitbekam, dazu fehlte seinem Deutsch der Feinschliff.
    Diesmal war es Inge, die ihren Eltern die Neujahrsbräuche erklärte: die Bedeutung der Kalligraphie auf den roten Spruchbändern beiderseits der Tür, den Kotau vor dem Ahnenschrein, die Glück verheißende Wirkung der Speisen und das Fledermausdekor auf dem Service. Dass ausgerechnet die Glück bringen sollten, wollte Frau Finkelstein nicht einleuchten,doch ihr skeptischer Blick schien zu sagen: »Solange ich sie nicht essen muss   …«
    Die Finkelsteins waren von Inge bereits gewarnt worden, tagsüber wenig zu essen. Dennoch übertraf die Fülle und Vielfalt der Speisenfolge jede Erwartung. Ihrer Tochter war es peinlich, dass die Eltern nach mehr als acht Jahren in China noch immer nicht mit Stäbchen essen konnten, aber zugleich sah sie mit Genugtuung, wie die beiden mit den bereitgelegten Gabeln kräftig zulangten.
    »Da können wir nicht mithalten mit unserer Weihnachtsgans oder dem Karpfen«, bemerkte Herr Finkelstein, der immer den richtigen Ton traf.
    »Vergessen Sie mir die Weihnachtsplätzchen nicht, Lieber Kollege!«, warf Herr Fiedler lachend ein, und die beiden Konditormeister waren sich darin einig, dass deutsches Weihnachtsgebäck eine bedeutende Kulturleistung darstellte.
    Schließlich bekamen die Gäste selbst nach mehrmaliger Aufforderung keinen Bissen mehr herunter. (Inge hatte ihren Eltern zuvor eingebläut, dass sie nie sofort einwilligen, sondern immer erst mindestens eine weitere Aufforderung abwarten mussten.) Die beiden Herren verzogen sich mit ihren Zigarren ins Nebenzimmer, und Frau Finkelstein folgte Frühlingserwachen angeregt plaudernd in die Küche.
    Sanmao und Inge tauschten einen kurzen Blick.
    »Wir gehen mal nachsehen, ob schon jemand seine Knaller zündet«, rief Sanmao den Eltern hinterher. Auch dieser wichtige Bestandteil der Neujahrsfeierlichkeiten war jetzt wieder erlaubt, und die Begeisterungder Chinesen für den Krach und Gestank von Feuerwerkskörpern war trotz eben überstandenem Bombenkrieg ungebrochen. »
Die vermissen uns jetzt bestimmt nicht
«, sagte er darauf zu Inge. »
Zieh dir was über. Wir gehen in den Park.
« Diesmal auf Chinesisch. Ihre Geheimsprache war immer die jeweils andere.
    Draußen war es kühl, dennoch lag ein Hauch von Frühling in der Luft. Inge war noch nie abends im Hatong-Park gewesen. Als sie die beleuchtete Bubbling Well Road verließen und in die tiefen Schatten der Büsche und Bäume eintauchten, hakte sie sich bei Sanmao unter. Inmitten der festlich erleuchteten Stadt bildete der Garten ein dunkles Planquadrat, in dem man sich verlieren und unsichtbar machen konnte. Weil Neujahr immer auf Neumond fällt, war die Nacht besonders schwarz. Mit traumwandlerischer Sicherheit ging Sanmao den Weg zu »ihrem« Stein, und sie setzten sich auf das Treppchen. An den wuchernden Azaleen- und Kamelienhecken mussten sich bereits erste Blüten geöffnet haben; man sah sie nicht, roch aber ihren zarten Duft. Erste
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