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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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Neujahrseinladung sprach. »Aber dein Vater und ich haben vorerst noch keine Möglichkeit, dich finanziell zu unterstützen.«
    »Ich arbeite doch bei Frau van Gaal. Klar, angesichts der galoppierenden Inflation ist das ein lächerlicher Betrag, aber immerhin verdiene ich ein Taschengeld, das ich Frühlingserwachen geben kann. Außerdem könnte ich im Haushalt oder in der Konditorei helfen«, wandte Inge ein.
    Auch Herr Finkelstein hatte seine Bedenken, aber die waren anderer Art, und er würde sie besser mit Herrn Fiedler besprechen.
    »Ich hab immer ein schlechtes Gewissen gehabt,wegen der Gundel damals«, sagte seine Frau unvermittelt. Vater und Tochter sahen sich an.
    »Aber, Mama, wie kommst du denn darauf? Das ist doch längst vergessen.«
    »Für mich nicht. Und jetzt sag ich euch was. Sie hat immer noch etwas Kostbares in ihrem Bauch.« Seit Jahren hatte Inge die Puppe nicht mehr angeschaut, die auf dem Regal saß und Staub ansammelte. Sie war davon ausgegangen, dass der »Familientresor« längst leer war.
    Frau Finkelstein stand auf, holte die ziemlich ramponierte Käthe-Kruse-Puppe an den Tisch und zog ihr das Pünktchenkleid aus. Auf dem hautfarbenen Trikotstoff ihres Puppenrückens zeigte sich eine lange Narbe.
    »Wirklich ein Wunder, dass ein letzter Rest meines Schmucks diese harten Zeiten überdauert hat. Aber zum Glück konnten dein Vater und ich die Familie weitgehend mit unserer Hände Arbeit ernähren. Deshalb dachte ich mir, was noch übrig ist, soll in Inges Zukunft, in ihre Ausbildung investiert werden.« Den letzten Satz richtete sie mehr an ihren Mann als an Inge.
    »Marianne, davon hast du mir nie etwas gesagt.«
    »Auch Frauen haben ihre Geheimnisse. Es hat mich all die Jahre sehr beruhigt, dass wir diesen Notgroschen hatten. Man wusste ja nicht, was noch kommen würde.« Vater und Tochter grinsten sich an. »Und nachdem unser kluges Kind jetzt ein Stipendium bekommen hat, würde es mich weiterhin beruhigen, wenn auf diese Weise für ihren Aufenthalt hier gesorgt wäre, notfalls auch für ihre Überfahrt.«
    Inge drückte ungläubig an ihrer Puppe herum und ertastete tatsächlich etwas Hartes in ihrem weichen Wattebauch.
    Herr Finkelstein sah seine Frau bewundernd an. »Marianne, du warst schon immer ein Organisationsgenie. Da hast du mir eindeutig was voraus.«
    Aber seine Frau war bereits einen Schritt weiter. »Ich frage mich bloß, wie wir das machen sollen. Wenn wir den Schmuck jetzt verkaufen, bekommen wir wegen der Inflation nur einen Haufen Scheine dafür, die schon morgen nichts mehr wert sind.«
    »Was hältst du davon, wenn wir den Fiedlers den Schmuck so geben? Die können den richtigen Zeitpunkt abwarten.« Dieser Vorschlag kam von Herrn Finkelstein.
    »Das hatte ich auch gedacht.«
    »Am besten, wir besprechen das mit ihnen selbst. Morgen sind wir doch eingeladen.«
    Inge blickte von einem zum anderen. Immer wieder war sie verblüfft von den Reaktionen ihrer Mutter. Im einen Moment vollkommen außer sich und der Verzweiflung nahe, fand sie im nächsten mit kühlem Kopf die rettende Lösung. Dieses Talent hat sie in den vergangenen Jahren mehrfach unter Beweis gestellt, dachte Inge stolz.
    »Zu der Einladung müssen wir aber noch was anderes mitbringen. Von Schmuck kann man nichts runterbeißen.«
    »Stimmt, Mama. Frühlingserwachen hat aber extra gesagt, nichts zu essen. Die kocht sowieso immer viel zu viel. Wie wär’s mit einer Flasche Maotai? Das hatsich beim letzten Mal bewährt, da können auch die Ahnen mittrinken.«
    Frau Finkelstein machte ein verständnisloses Gesicht, fragte aber nicht weiter. Was chinesische Etikette anbelangte, war Inge längst die anerkannte Autorität der Familie.
    »Die kann ich besorgen«, meldete sich Herr Finkelstein; inzwischen waren die Regale der Schanghaier Geschäfte wieder gut gefüllt.
     
    An
chúxī .
– dem chinesischen Silvesterabend   – hatten sich die Finkelsteins wieder einmal fein gemacht, was mit den ewig gleichen, von Alter und Klima stark mitgenommenen Sachen kein Leichtes war: die Mutter im unverwüstlichen Tweedkostüm, der Vater im speckigen dunklen Anzug. Also war es an Inge, ein bisschen Farbe ins Bild zu bringen, denn um das neue Jahr zu begrüßen, trug man Rot, die Farbe der Freude. Sie zog die seitlich mit Knebelknöpfen geschlossene Jacke aus roter Seide an, die Frau Finkelstein aus einem zu eng gewordenen
qípáo
von Frühlingserwachen umgearbeitet hatte, dazu trug sie schmale schwarze Baumwollhosen. Die
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