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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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wäre sicher nicht begeistert, wenn sie wüsste, dass die Tochter sich nachts mit jungen Männern im dunklen Park herumdrückte.
    Und wie sie sich gedrückt hatten!
    Bald darauf verabschiedete man sich, und die Finkelsteins dankten für den in jeder Hinsicht gelungenen Abend. Offenbar hatten auch die Eltern ein einvernehmliches Gespräch geführt. Dann rumpelte die Straßenbahn mit vielen fröhlichen Nachtschwärmern Richtung Hongkou.

Neues Spiel, neues Glück
    Schanghai, 1947   – Jahr des Schweins
    豬
    Plötzlich ging alles ganz schnell.
     
    » … können wir ihnen heute mitteilen, dass entsprechende Einreisepapiere auf dem Konsulat für Sie bereitliegen. Für den 7.   Februar besteht auf der › Hwa Lien ‹ die Möglichkeit einer Schiffspassage nach Sydney. Bitte bestätigen Sie uns umgehend … «
     
    Herr Finkelstein wurde blass, als er die Benachrichtigung vom Büro der UNRRA überflog. »Es ist so weit« war alles, was er sagte, dann reichte er den Brief an Frau und Tochter weiter. Alle drei standen einen Moment lang wie erstarrt. Jeder kämpfte mit den eigenen widerstreitenden Gefühlen. In den Zügen von Marianne Finkelstein spiegelte sich spontane Erleichterung darüber, dass sie diese Stadt endlich verlassen konnte, andererseits würde das die Trennung von ihrer einzigen Tochter bedeuten. Wilhelm Finkelstein, der noch immer darunter litt, das Schicksal der Emigration über seine Familie gebracht zu haben, empfand große Dankbarkeit. Hier in Schanghai hatten er und die Seinen Zuflucht gefunden, sie hatten überlebt. Aber würde er noch einmal die Kraft für einen Neuanfang aufbringen?Inge traf die Nachricht wie ein Schlag in die Magengrube. Seit vielen Monaten hatte sie über diesen Moment nachgedacht und ihre Pläne dafür gemacht. Jetzt war er da. Aus ferner Zukunft war konkreter Abschiedsschmerz geworden, und was sie sich die ganze Zeit gewünscht hatte, tat auf einmal sehr, sehr weh.
    »Inge, jetzt kannst du noch entscheiden. Willst du wirklich hierbleiben?«, fragte ihr Vater in die Stille hinein. »Auch Herr Fiedler meint, die Gefahr eines Bürgerkriegs sei nicht zu unterschätzen. Im Norden kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen Nationalisten und Kommunisten.«
    Inge räusperte sich, um ihrer Stimme jene Festigkeit zu verleihen, die sie nicht wirklich empfand, doch ihr Entschluss stand fest. Vor ein paar Wochen wäre sie vielleicht noch schwach geworden, aber das Wissen um Sanmaos Zuneigung gab ihr Kraft.
    »Ja, Papa, ich will ordentlich Chinesisch lernen, wenn möglich einen Abschluss machen. Dann sehen wir weiter. Und bis dahin habt ihr herausgefunden, wie es euch bei den Kängurus gefällt.« Sie versuchte einen unbefangenen Ton, aber eigentlich war ihr zum Heulen.
    »Herr Fiedler wird die Lage im Auge behalten. Das hat er mir versprochen. Sobald es gefährlich wird, kauft er dir eine Schiffskarte nach Sydney. Und dann fährst du, ganz gleich, ob mit oder ohne Diplom. Hast du mich verstanden, Inge? Man macht im Leben nicht zweimal den gleichen Fehler.«
    »Ja, Papa.« Sie verstand ihn. Sie hatte ihren Vater schon immer verstanden.
    Frau Finkelstein stand stumm dabei. Als Inge bemerkte, dass der Mutter Tränen über die Wangen liefen, brachen auch bei ihr die Dämme; schluchzend lagen sich die beiden in den Armen.
    Herr Finkelstein, den weinende Frauen immer nervös machten, beeilte sich, den »Diercke« aus dem Regal zu holen. Der Schulatlas widmete dem fünften Kontinent gerade mal eine Seite.
    »Mich wird man nicht noch mal in eine Stadt verschiffen, von der ich nicht weiß, wo sie liegt«, sagte er und vertiefte sich mit verbissener Entschlossenheit in die Landschaften Australiens.
     
    Auch bei seiner Frau gewann der Sinn fürs Praktische allmählich wieder die Oberhand. Während Herr Finkelstein den folgenreichen Gang zum Konsulat antrat, begannen Mutter und Tochter mit Sortieren und Räumen, Packen und Wegwerfen. Auf diese Weise kamen sie wenigstens nicht ins Grübeln.
    »Max wird mir meine Sachen bestimmt zu den Fiedlers fahren, und euch bringt er mit den Koffern zum Hafen. Dann brauchst du in keine Rikscha zu steigen.« Inge konnte es nicht lassen, die Mutter ein wenig hochzunehmen, die in all den Jahren ihre Abneigung gegen diese Art der Beförderung nicht hatte überwinden können.
    Inge würde Schanghai zwar nicht verlassen, aber auch für sie war es ein Abschied; nie hätte sie gedacht, dass auch eine Zwangsunterkunft zum Zuhause werden konnte. Die beengten
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