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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix
Autoren: Bruce Sterling
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Auftakt
     
    Bemalte Flugmaschinen glitten um die Zentralachse der Welt. Lindsay stand im knietiefen Gras und verfolgte, den Kopf im Nacken, gespannt ihre Bewegungen.Wie zerbrechliche Papierdrachen sanken und stiegen hoch droben die von  Tretpedalen getriebenen superleichten Maschinen durch die Freifallzone. Jenseits davon, am anderen Ende des Durchmessers der Zylinderwelt, leuchtete die Krümmung der Landschaft vom Gelb und dem gesprenkelten Grün der Weizen- und Baumwollfelder.
    Lindsay beschattete mit der Hand die Augen gegen das Sonnenblitzen in einem der Langfenster der Welt. Ein Flieger, dessen Tragflächen die elegante Zeichnung von blauen Schwungfedern auf weißem Grund aufwiesen, stieß durch den Lichtbalken lautlos zu ihm herab. Er sah das lange Haar der Pilotin hinter ihr wehen, während sie sich wieder aufwärtsstrampelte. Er wußte, daß sie ihn gesehen hatte. Er hätte ihr gern etwas hinaufgerufen, wild mit den Armen gefuchtelt, doch er wußte ja, daß er beobachtet wurde.
    Seine Kerkermeister holten ihn ein: seine Frau und sein Onkel. Die zwei Altaristokraten bewegten sich mit schmerzerfüllter Langsamkeit. Das Gesicht seines Onkels war gerötet; er hatte seinen Herzschrittmacher beschleunigt. »Du bist gerannt«, sagte er. »Gerannt!«
    »Ich wollte mir ein bißchen die Beine vertreten«, sagte Lindsay kühl und höhnisch. »Vom Hausarrest bekomme ich Muskelkrämpfe.«
    Sein Onkel spähte nach oben, legte die altersfleckige Hand über die Augen, folgte Lindsays Blicken. Das Pedalopter mit der Vogelzeichnung schwebte mittlerweile über der Sauermarsch, einem versumpften Stück Land inmitten des landwirtschaftlich genutzten Paneels, wo die Bodenkrume verrottet war. »Du beobachtest anscheinend die Sauermarsch, he? Wo dein Freund Constantine arbeitet. Man sagt, er gibt dir Signalzeichen von dort.«
    »Philip betreibt Insektenforschung, Ehrenwerter Onkel. Nicht Kryptographie.«
    Aber Lindsay log. Er war während seines Hausarrests durchaus auf Constantines heimliche Signale und Informationen angewiesen.
    Er und Constantine waren politische Kampfgefährten. Nach dem großen Knatsch hatte man Lindsay auf den Besitz seiner Familie in Quarantäne geschickt. Philip Constantine hingegen verfügte über unersetzliche ökologische Fähigkeiten. Also war er noch auf freiem Fuß und durfte in der Sauermarsch arbeiten.
    Die lange Internierung hatte Lindsay zur Verzweiflung getrieben. Er war in Höchstform unter Menschen, wo er mit seinem diplomatischen Geschick brillieren konnte. Seit seiner Isolationshaft hatte er an Körpergewicht verloren: die hohen Wangenknochen stachen in kantigem Relief hervor, in seinen grauen Augen glomm ein mürrischer, rachsüchtiger Schimmer. Der plötzliche Spurt hatte ihm die modisch gekrausten schwarzen Locken zerzaust. Lindsay war großgewachsen und schlank, und er besaß auch das lange Kinn und die hochgeschwungenen ausdrucksstarken Augenbrauen des Lindsay-Clans.
    Alexandrina, seine Frau, ergriff ihn am Arm. Ihre Kleidung war der neuesten Mode entsprechend: ein langer Faltenrock und ein weißer Arztkittel. Der reine, aber fahle Hautton verriet Gesundheit ohne Vitalität, als wäre ihre Haut perfekt, aus perfekt bedrucktem Kunstdruckpapier. Mumienhafte Schmachtlöckchen zierten ihre Stirn.
    »Du hast mir versprochen, du redest nicht über Politik, James«, sagte sie zu dem älteren Mann. Dann blickte sie zu Lindsay empor. »Du bist ganz blaß, Abélard. Er hat dich aufgeregt.«
    »Bin ich blaß?« sagte Lindsay. Er griff auf den Fundus seiner Shaper-Ausbildung zum Diplomaten zurück. Seine Wangen färbten sich rosig. Er ließ die Pupillen seiner Augen größer werden und lächelte zähneblitzend. Sein Onkel trat mit verkniffenem Gesicht zurück.
    Alexandrina hängte sich an seinen Arm. »Ach, wenn du das doch bloß lassen könntest«, sagte sie zu Lindsay. »Du machst mir Angst damit.« Sie war fünfzig Jahre älter als er, und sie hatte gerade kürzlich erst beide Kniescheiben ersetzt bekommen, und diese Mechano-Prothesen aus Teflon bereiteten ihr noch immer Kummer.
    Lindsay verlagerte sein Exemplar des zum Buch gebundenen Printout in die linke Hand. Im Verlauf seines Hausarrests hatte er Shakespeares Werke in modernes Zirkumsolar-Englisch übertragen. Die Ältesten des Lindsay-Clans hatten seine Bemühungen eifrig unterstützt. Wohl weil sie hofften, seine historisch-antiquarischen Hobbies würden ihn davor bewahren, weiter gegen den Staat zu konspirieren.
    Zur Belohnung wollte sie
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